Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der glückliche Tod

Der glückliche Tod

Titel: Der glückliche Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
Vom Netzwerk:
wendete Patrice das Gesicht zu: «Sie fahren gern selber ein Auto, nicht wahr?»
     
    «Ja.»
    «Sie lieben die Frauen?»
    «Wenn sie schön sind.»
    «Das meinte ich natürlich.» Zagreus blickte wieder ins Feuer.
     
     «Alles das ...» setzte er gleich darauf noch einmal an.
     
    Mersault wendete sich um und wartete, an die Fensterscheiben gelehnt, die in seinem Rücken ein wenig nachgaben, auf das Ende des Satzes. Zagreus aber blieb stumm. Eine verfrühte Fliege summte an der Scheibe. Mersault drehte sich wieder um, bedeckte sie mit seiner Hand und ließ sie wieder frei. Zagreus sah ihm zu und fuhr dann zögernd fort:
     
    «Ich rede nicht gern ernsthaft. Weil es dann überhaupt nur eine Sache gibt, von der man reden könnte: die Rechtfertigung, die man für sein Leben anzuführen hat. Ich selber wüßte nicht, wie ich in meinen Augen meine verstümmelten Beine noch rechtfertigen könnte.»
     
    «Ich auch nicht», sagte Mersault, ohne sich umzudrehen.
     
    Zagreus ließ plötzlich ein munteres Lachen hören. «Danke. Sie lassen mir keine Illusion.» Dann schlug er einen anderen Ton an: «Aber Sie sind mit Recht so hart. Dennoch ist da etwas, was ich Ihnen sagen wollte.» Mit ernster Miene schwieg er. Mersault kam und nahm ihm gegenüber Platz.
     
    «Hören Sie zu», begann Zagreus aufs neue, «und sehen Sie mich an. Man hilft mir bei der Verrichtung meiner Bedürfnisse. Und danach wäscht man mich und trocknet mich ab. Schlimmer noch, ich bezahle jemanden dafür. Und doch, ich werde nie etwas tun, um ein Leben abzukürzen, an das ich so sehr glaube. Ich würde noch Schlimmeres auf mich nehmen, blind zu sein, stumm, alles, was Sie wollen, wofern ich nur in meinem Leib diese düstere glühende Flamme fühle, die mein Ich ist, mein lebendiges Ich. Ich würde einzig daran denken, dem Leben dafür zu danken, daß es mir erlaubt hat, noch weiter in dieser Weise zu brennen.» Etwas außer Atem lehnte Zagreus sich jäh zurück. Man sah jetzt weniger von ihm, nur den bleichen Widerschein seiner Decken auf seinem Kinn. Dann sagte er: «Sie aber, Mersault, mit Ihrem Körper— Sie haben einzig die Pflicht, zu leben und glücklich zu sein.»
     
    «Daß ich nicht lache», sagte Mersault. «Bei acht Stunden täglich im Büro. Ja! Wäre ich frei!»
     
    Er hatte sich beim Sprechen belebt, und wie schon öfter fühlte er sich, heute sogar stärker als sonst, von Hoffnung erfüllt, er meinte, Hilfe zu verspüren. Das Vertrauen durchdrang ihn, endlich einmal Vertrauen schenken zu können. Er beruhigte sich etwas, zerdrückte langsam eine Zigarette und fuhr gelassener fort: «Vor ein paar Jahren noch hatte ich alles vor mir, man sprach von meinem Leben, meiner Zukunft zu mir. Ich sagte ja. Ich tat sogar, was dafür getan werden mußte. Doch schon damals war das alles mir fremd. Das Unpersönliche zu suchen  - das beschäftigte mich. Nicht «gegen die Umstände» glücklich zu sein. Ich drücke mich schlecht aus, Zagreus, aber Sie verstehen schon.»
     
    «Ja», sagte der andere.
    «Noch jetzt, wenn ich Zeit dazu hätte . . . Ich brauchte mich nur treiben zu lassen. Alles, was mir darüber hinaus widerführe, nun, es wäre wie Regen auf einen Kieselstein. Der kühlt ihn ab, und das ist schon sehr schön. Ein andermal durchglüht ihn die Sonne. Es ist mir immer so vorgekommen, als sei das gerade das Glück.»
     
    Zagreus hatte die Hände übereinandergelegt. Während des nun folgenden Schweigens schien der Regen doppelt so heftig zu prasseln, und die Wolken ballten sich zu einem einzigen dichten Nebel. Das Zimmer verdunkelte sich etwas mehr, als ob der Himmel seine ganze Ladung an Finsternis und Schweigen in den Raum ergösse. Mit steigendem Interesse sagte der Krüppel:
     
    «Ein Körper hat immer das Ideal vor sich, das er verdient. Um dieses Kieselsteinideal aufrechtzuerhalten, muß man, wenn ich so sagen darf, über den Leib eines Halbgotts verfügen.»
    «Das stimmt», antwortete Mersault etwas überrascht. «Aber wir wollen doch nicht übertreiben. Ich habe viel Sport getrieben, das ist alles. Und ich bin imstande, im Genuß ziemlich weit zu gelangen.»
    Zagreus dachte nach.
    «Ja», sagte er. «Um so besser für Sie. Die Grenzen seines Körpers zu kennen, ist die wahre Psychologie. Im übrigen hat das weiter keine Bedeutung. Wir haben keine Zeit, wir selber zu sein. Wir haben einzig Zeit, glücklich zu sein. Aber würde es Ihnen etwas ausmachen, mir Ihre Idee vom Unpersönlichen zu erklären?»
    «Nein», sagte

Weitere Kostenlose Bücher