Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der glückliche Tod

Der glückliche Tod

Titel: Der glückliche Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
Vom Netzwerk:
Weihegeschenks blühten je nach Jahreszeit weiße Heckenrosen, Mimosen oder jene Art Geißblatt, die von den Hauswänden ihre Düfte in die Sommerabende aufsteigen ließ. Über weißen Leintüchern und roten Dächern, dem Lächeln des Meeres unter dem von einem Ende des Horizonts bis zum anderen faltenlos gespannten Himmel blickte das Haus vor der Welt mit seinen großen Bogenfenstern auf diesen Jahrmarkt aus Farben und Licht herab. In der Ferne aber umarmte eine Reihe hoher violetter Berge in jähem Fall die Bucht und schloß diesen Rausch in ihre Silhouette ein. Dann beklagte sich niemand mehr über den steilen Weg und den ermüdenden Aufstieg. Man mußte sich seine Freude Tag für Tag neu erobern.
    Dadurch, daß sie so der Welt gegenüber lebten, ihr Gewicht empfanden, alle Tage ihr Gesicht sich aufhellen, dann erlöschen und am nächsten Tag wieder in voller Jugend erglühen sahen, hatten die vier Bewohner des Hauses das Bewußtsein von einer Gegenwart, die für sie zugleich Rechtsprechung und Rechtfertigung war. Die Welt wurde hier zu einer Person, sie gehörte zu denen, von denen wir gern Rat annehmen und bei denen das Gleichgewicht die Liebe nicht getötet hat. Sie riefen sie als Zeugen an:
     
    «Ich und die Welt», stellte Patrice bei den belanglosesten Anlässen fest, «wir mißbilligen euch.»
    Catherine, für die Nacktheit das Ablegen von Vorurteilen bedeutete, nutzte die Zeiten der Anwesenheit des «Jungen», um sich auf der Terrasse auszuziehen. Und wenn sie dann die Farben des Himmels sich wandeln sah, pflegte sie bei Tisch in einer Art von sinnlichem Stolz zu sagen:
    «Ich bin der Welt nackt gegenübergetreten.»
    «Ja», sagte Patrice verachtungsvoll, «Frauen legen natürlich größeren Wert auf ihre Ideen als auf ihre Empfindungen.»
     
    Catherine ging dann in die Luft, denn sie wollte keine Intellektuelle sein. Aber Rose und Claire erklärten einmütig:
     
    «Schweig, Catherine, du hast unrecht.»
     
    Denn es war ausgemachte Sache, daß Catherine immer unrecht hatte, einfach weil sie diejenige war, die jeder auf die gleiche Weise liebte. Sie hatte einen schweren, klar gezeichneten Körper von der Farbe verbrannten Brotes und einen animalischen Instinkt für das, was wesentlich ist in der Welt. Niemand verstand besser als sie den verborgenen Sinn der Sprache von Bäumen, Meer und Wind.
     
    «Diese Kleine», sagte Claire, während sie unaufhörlich aß, «ist eine Naturgewalt.»
     
    Dann standen alle auf, um sich schweigend draußen in der Sonne zu wärmen. Der Mensch vermindert die Kraft des Menschen. Die Welt läßt sie unversehrt. Rose, Claire, Catherine und Patrice lebten an den Fenstern ihres Hauses in den Bildern und im Schein der Dinge, sie gaben sich für das Spiel her, das sie untereinander betrieben und lachten der Freundschaft und der Zärtlichkeit entgegen, aber fanden doch, sobald sie wieder die tanzende Bewegung von Himmel und Meer vor sich hatten, die geheime Färbung ihres Geschicks wieder heraus und begegneten einander mit dem Tiefsten, das in ihnen wohnte. Manchmal schlossen die Katzen sich ihren Herrinnen an. Gula glitt, ständig beleidigt, etwas näher heran, ein schwarzes Fragezeichen mit grünen Augen, mager und zart, wurde dann auf einmal von Irrsinn befallen und kämpfte gegen Schatten. «Das ist eine Frage der inneren Sekretion», erklärte Rose. Darauf lachte sie, ganz hingegeben an ihre Heiterkeit, unter ihrem gelockten Haar, mit lustig zusammengekniffenen Augen hinter den runden Brillengläsern, bis Gula auf sie hinaufsprang (eine besondere Gunst), und während Rose ihren Finger über das glänzende Fell gleiten ließ, besänftigte und entspannte sie sich, wurde selbst zu einer Katze mit schmeichelnden Augen und beschwichtigte das Tier mit sanften, schwesterlichen Händen. Denn die Katzen waren für Rose der Zugang zur Welt, so wie die Nacktheit für Catherine. Claire mochte die andere Katze lieber, die Cali hieß. Cali war sanft und töricht wie ihr schmutzigweißes Fell und ließ sich alles gefallen. Claire, mit ihrem Gesicht einer Florentinerin, war dann von der Erhabenheit ihrer Seele überzeugt. Still und verschlossen, bei jähen Ausbrüchen, hatte sie guten Appetit. Patrice schalt sie, als er sie ständig zunehmen sah:
     
    «Du widerst uns an», sagte er. «Ein schönes Geschöpf hat nicht das Recht zuzulassen, daß es häßlich wird.» Aber Rose ergriff ihre Partei. «Wirst du wohl endlich aufhören, das arme Kind zu quälen. Iß, meine Schwester

Weitere Kostenlose Bücher