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Der glückliche Tod

Der glückliche Tod

Titel: Der glückliche Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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Daseins gegenüber bewahren, selbst um den Preis einer Einsamkeit, von der er jetzt wußte, wie schwer sie zu ertragen war. Er würde keinen Verrat begehen. Die in ihm angestaute Heftigkeit half ihm dabei, und an dem Punkt, an den sie ihn trug, trat noch seine Liebe hinzu in Gestalt eines wütenden Dranges zu leben.
     
    Das Meer rieb sich gemächlich an den Flanken des Schiffs. Der Himmel belud sich mit Sternen, und Mersault wurde sich schweigend äußerster, tiefer Kräfte bewußt, dieses Leben mit den von Tränen und Sonne geprägten Zügen, dieses Leben aus Salz und heißem Stein zu lieben, und er hatte das Gefühl, daß in seinem zärtlichen Erfassen alle seine Kräfte der Liebe und der Verzweiflung sich hier vereinigen würden. Hier allein lag seine Armut und nur hier sein Reichtum. Es war, als ob er bei Zero das Spiel von neuem begänne, nun jedoch mit dem Bewußtsein seiner Kräfte und dem hellsichtigen Fieber, die ihn seinem Schicksal entgegendrängten.
     
    Und dann war Algier da, die gemächliche Ankunft am Morgen, die schimmernde Kaskade der Kasbah über dem Meer, die Hügel und der Himmel, die Bucht, die ihre Arme ausbreitete, die Häuser zwischen den Bäumen und der schon spürbare Ruch der Quais. Da merkte Mersault, daß er seit Wien nicht ein einziges Mal an Zagreus als an den Mann gedacht hatte, den er mit eigener Hand getötet hatte. Er erkannte in sich jene Fähigkeit zu vergessen, die nur dem Kind, dem Genie und dem Unschuldigen zu eigen ist. Unschuldig, überwältigt von Freude, begriff er endlich, daß er für das Glück geschaffen war.
     
     Patrice und Catherine nehmen ihr Frühstück auf der besonnten Terrasse ein. Catherine ist im Schwimmanzug, der «Junge», wie ihn seine Freundinnen nennen, in der Dreieckshose und mit einem Handtuch um den Hals. Sie essen Tomaten mit Salz, Kartoffelsalat, Honig und Früchte in Menge. Sie legen Pfirsiche zum Kühlwerden in Eis, nehmen sie wieder heraus und lecken die ausgeschwitzten Tropfen auf dem Flaum ihrer samtigen Haut ab. Sie bereiten sich auch Traubensaft, den sie trinken, während sie das Gesicht zur Sonne emporheben, um braun zu werden (zumindest Patrice, der weiß, daß die Bräune ihm gut steht).
     
    «Schmeck mal die Sonne», sagt Patrice und streckt dabei den Arm Catherine entgegen. Sie leckt an seinem Arm. «Ja», sagt sie, «schmecke du sie auch.» Er kostet und streckt sich dann aus, während er wohlig an seinen Seiten entlangstreicht. Sie hingegen legt sich auf den Bauch und streift ihren Badeanzug bis zu den Hüften hinunter.
     
    «Bin ich unanständig?»
    «Nein», sagt der junge Mann, der überhaupt nicht hinsieht.
     
    Die Sonne strömt über sein Gesicht hin und verweilt darauf. Mit leicht feuchten Poren atmet er die Glut ein, die sich über ihn ergießt und ihn schläfrig macht. Catherine läßt die Sonne auf sich brüten, seufzt und stöhnt.
     
    «Das tut gut», sagt sie.
    «Ja», sagt der «Junge».
     
    Das Haus war an den Gipfel eines Hügels angeheftet, von dem aus man auf die Bucht sah. Im Viertel nannte man es das Haus der drei Studentinnen. Man gelangte zu ihm auf einem sehr steinigen Pfad, der zwischen Olivenbäumen begann und zwischen Olivenbäumen endete. Auf der Mitte befand sich eine Art Plattform, an der eine graue Mauer entlanglief. Diese war mit obszönen Zeichnungen und politischen Parolen bedeckt, bei deren Lektüre der erschöpfte Wanderer wieder zu Atem kam. Was dann noch folgte, waren wieder Olivenbäume, Fetzen blauen Himmels zwischen den Zweigen und der Geruch der Mastixbäume am Rande rostroter Wiesen, auf denen violette, gelbe und orangefarbene Stoffe trockneten. Man kam schweißgebadet und außer Atem dort oben an, stieß eine kleine blaue Gittertür auf, wobei man sich Mühe geben mußte, nicht an den Bougainvilleen hängen zu bleiben, und mußte dann noch eine Treppe erklimmen, die so steil wie eine Leiter war, über der jedoch ein blauer Halbschatten lag, der den Durst schon ein wenig linderte. Rose, Claire, Catherine und Patrice nannten es das «Haus vor der Welt». Vollkommen der darunter sich breitenden Landschaft geöffnet, hatte es etwas von einem in dem strahlenden Himmel über dem bunten Tanz der Welt aufgehängten Schiffchen. Von der Bucht bis zu der makellos gezogenen Kurve ganz unten wob eine Art Wirbel Gras und Sonne ineinander, und der gleiche Schwung führte Pinien und Zypressen, die staubbedeckten Olivenbäume und die Eukalyptusstauden bis an das Haus heran. Im Herzen dieses schönen

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