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Der glückliche Tod

Der glückliche Tod

Titel: Der glückliche Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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«schließlich geht es ja um deine Arbeitszeit. »
     
    Verbittert steht die «Naturgewalt» auf und legt sich in die Sonne. Bald aber folgen alle ihrem Beispiel. Claire, die Catherine nachlässig über das Haar streicht, ist der Meinung, was «diesem Kind» fehle, sei ein Mann. Denn es gehört zu den Gewohnheiten des Hauses vor der Welt, über Catherines Schicksal zu befinden, ihr Bedürfnisse zuzuschreiben und deren Ausmaß und besondere Eigenart festzulegen. Gewiß, sie gibt von Zeit zu Zeit zu bedenken, sie sei groß genug usw., doch niemand hört auf sie. «Die Arme», sagt Rose, «sie braucht eben einen festen Freund.»
     
    Dann rekeln alle sich nur noch in der Sonne. Catherine, die nicht nachtragend ist, erzählt, was im Büro getratscht wird, nämlich, daß Mademoiselle Pérez, die große Blonde, die bald heiraten wollte, alle Abteilungen aufgesucht habe, um sich zu informieren, welche grauenhaften Beschreibungen die Reisenden ihr zu machen beliebten, und mit welcher Erleichterung sie bei der Rückkehr von der Hochzeitsreise lächelnd erklärt habe:
     
    «So furchtbar war es gar nicht.»
    «Sie ist dreißig Jahre alt», setzt Catherine mitleidig hinzu.
    Rose aber tadelt sie, daß sie solche gewagten Geschichten erzählt: «Hör mal, Catherine», sagt sie, «hier sind nicht nur junge Mädchen anwesend.»
     
    Zu dieser Stunde streicht das Postflugzeug über der Stadt hin und läßt den Glanz seines Metalls auf der Erde und im Himmel übermütig funkeln. Es folgt der Rundung der Bucht, neigt sich wie sie, paßt sich dem Gang der Welt an, verzichtet aber ganz plötzlich auf sein Spiel, wendet jäh, taucht langsam zum Meer hinunter und wassert in einem riesigen weißblauen Wogenschwall. Gula und Cali liegen auf der Seite, sperren ihre Schlangenmäulchen so weit auf, daß man den rosigen Gaumen sieht, und geben sich üppigen, obszönen Träumen hin, bei denen ihre Flanken erbeben. Der Himmel drückt von oben her mit seiner ganzen Last aus Sonne und Farben nach unten. Mit geschlossenen Lidern vollzieht Catherine in sich den langen tiefen Sturz nach, der sie wieder in ihr Innerstes führt, wo sich weich jenes Tier regt, das atmet wie ein Gott.
     
    Am nächsten Sonntag werden Gäste erwartet. Claire ist an der Reihe, sich ums Kochen zu kümmern. Rose hat also das Gemüse geputzt, das Geschirr bereit ge stellt und den Tisch gedeckt; Claire wird das Gemüse aufsetzen und das Kochen überwachen, während sie in ihrem Zimmer liest. Da Mina, die Maurin, an diesem Morgen nicht gekommen ist — sie hat zum drittenmal im Jahr ihren Vater verloren —, mußte Rose auch im Haus Ordnung machen. Die Gäste treffen ein. Da ist Eliane, die Mersault die Idealistin nennt. «Warum?» fragt Eliane. «Weil du, wenn man dir etwas Wahres erzählt, das dich schockiert, antwortest: «Das ist zwar wahr, aber es ist nicht recht.»» Eliane hat ein gutes Herz und stellt selber bei sich eine Ähnlichkeit mit dem «Mann mit dem Handschuh» fest, die sonst niemand wahrhaben will. Aber eigensinnig hat sie gleichwohl alle Wände ihres Zimmers mit Reproduktionen von dem «Mann mit dem Handschuh) behängt. Eliane betreibt Studien. Als sie das erste Mal in das Haus vor der Welt gekommen ist, hat sie ihr Entzücken darüber geäußert, daß dessen Bewohner «frei von Vorurteilen» seien. Mit der Zeit hat sie das dann nicht mehr ganz so bequem gefunden. Das Fehlen von Vorurteilen bestand darin, daß man ihr sagte, die sorgfältig zurechtgestutzte Geschichte, die sie erzählt habe, sei nichts weiter als höchst langweilig, und daß man ihr bei jedem Satz, den sie äußerte, freundschaftlich erklärte: Eliane, du bist ein kleines Schaf.»
     
    Als Eliane mit Noël, dem anderen Eingeladenen, seines Zeichens Bildhauer, die Küche betritt, stößt sie gleich auf Catherine, die niemals in einer normalen Haltung kocht. Auf dem Rücken liegend, ißt sie mit der einen Hand Weintrauben und rührt mit der anderen eine eben erst im Entstehen begriffene Mayonnaise. Rose, mit einer großen blauen Schürze bekleidet, bewundert die Intelligenz der Katze Gula, die auf den Suppentopf gesprungen ist, um den zweiten Gang des Mittagsmahls zu verspeisen.
     
     
     «Ist es zu glauben», sagt Rose ganz entzückt, «nein, wirklich, ist es zu glauben, wie intelligent sie ist?»
    «Ja», sagt Catherine, «sie übertrifft heute sich selbst», und setzt hinzu, am anderen Morgen bereits habe die ständig an Intelligenz zunehmende Gula die kleine grüne Lampe und eine

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