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Der glückliche Tod

Der glückliche Tod

Titel: Der glückliche Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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Claire.»
     
    Und der Tag kreiste von Osten nach Westen, um die Hügel und auf der See in zartem Sonnenlicht. Man lacht, man scherzt, man macht Pläne. Alle lächeln der Welt der Erscheinungen zu und tun so, als ergäben sie sich ihr. Patrice wendete seine Blicke vom Antlitz der Welt den ernsten oder lächelnden Gesichtern der jungen Frauen zu. Er wunderte sich manchmal über das Universum, das da um ihn her entstanden war. Vertrauen und Freundschaft, Sonne und weiße Häuser, kaum spürbare Schattierungen, in denen immer wieder unversehrte Glücksgefühle entstanden, deren Widerhall er genau ermaß. Das Haus vor der Welt, stellten sie untereinander fest, war kein Haus, in dem man sich amüsierte, sondern eines, in dem man glücklich war. Patrice spürte es deutlich, wenn alle, das Gesicht gen Abend gewendet, mit der letzten Meeresbrise der menschlichen und gefährlichen Versuchung in sich Einlaß gewährten, ganz verschieden von allem anderen zu sein.
     
    Heute, gleich nach dem Sonnenbad ist Catherine ins Büro gegangen.
     
    «Mein lieber Patrice», sagt Rose, die sich plötzlich aufgerichtet hat, «ich habe eine gute Nachricht für Sie.»
     
    In dem Zimmer hinter der Terrasse hat sich der «Junge» an diesem Tag mutig mit einem Kriminalroman in der Hand auf einem Diwan ausgestreckt.
     
    «Meine liebe Rose, ich bin ganz Ohr.»
    «Heute sind Sie mit der Küche dran.»
    «Gut», sagt Patrice, ohne sich zu rühren.
     
    Rose verschwindet mit ihrer Studentinnenmappe, in die sie ebenso sorglos Pfefferschoten für das Mittagessen wie den dritten Band der langweiligen Weltgeschichte von Lavisse zu stopfen pflegt. Patrice, der sich um die Linsen kümmern soll, schlendert bis elf Uhr umher, betrachtet den großen mit Diwanen und Etageren möblierten Raum und die ockerfarbenen Wände, an denen grüne, gelbe, rote Masken und Vorhänge aus Rohseide mit tangofarbenen Streifen hängen, setzt dann nebenher in Eile die Linsen auf, tut Öl in die Pfanne und erhitzt darin eine Zwiebel, eine Tomate und ein Gewürzsträußchen, gibt sich geschäftig und schimpft auf Gula und Cali, die hungrig mauzen. Dabei hat doch Rose es ihnen gestern erklärt:
     
    «Hört, ihr Tiere», hat sie gesagt, «im Sommer ist es zu heiß, um Hunger zu haben.»
     
    Viertel vor zwölf kommt Catherine in einem leichten Kleid und mit offenen Sandalen zurück. Sie braucht eine Dusche und ein Sonnenbad. Bestimmt wird sie als letzte bei Tisch erscheinen, und Rose wird streng zu ihr sagen: «Catherine, mit dir ist es nicht auszuhalten.» Das Wasser zischt im Badezimmer, und da erscheint Claire atemlos in der Tür:
     
    «Sie kochen Linsen? Ich habe da ein sehr gutes Rezept... »
    «Ich weiß. Man nehme Sahne... Nächstes Mal, liebe Claire.»
    Tatsache ist, daß Claires Rezepte immer mit süßer Sahne beginnen.
    «Er hat ganz recht», sagt Rose, die soeben dazugekommen ist.
    «Ja», sagt Mersault. «Gehen wir zu Tisch.»
    Sie essen in einer Küche, die eher einer Rumpelkammer gleicht. Immerhin gibt es da einen Notizkalender, auf dem Roses witzige Aussprüche fest gehalten werden. Claire prägt das Motto: «Fein sein, aber einfach bleiben», und ißt ihre Wurstscheiben mit der Hand. Catherine erscheint mit angemessener Verspätung, sonnentrunken und wehleidig, die Augen trübe vom Schlaf. In ihrer Seele wohnt nicht so viel Bitterkeit, daß sie jetzt an ihr Büro denken würde — acht Stunden, die sie der Welt und ihrem Leben entzieht, um sie einer Schreibmaschine zu schenken. Ihre Freundinnen sind verständnisvoll und malen sich aus, wie ihr eigenes Leben aussehen würde, wenn sie es täglich um diese acht Stunden beschnitten. Patrice schweigt dazu.
     
    «Ja», sagt Rose, die nicht zu Mitleid neigt, «im Grunde füllt dich das ganz und gar aus. Und vor allem redest du täglich von deinem Büro. Wir entziehen dir das Wort.»
     
    «Aber ...» seufzt Catherine.
    «Dann wird eben abgestimmt. Eins, zwei, drei, du bist überstimmt. »
    «Da hast du es», sagt Claire.
    Die Linsen kommen auf den Tisch, sie sind noch hart, und alle essen schweigend. Wenn Claire kocht und bei Tisch den ersten Bissen probiert, erklärt sie immer mit befriedigter Miene: «Das ist ja ausgezeichnet!» Patrice, der gern seine Würde wahrt, schweigt lieber bis zu dem Augenblick, in dem alle in Gelächter ausbrechen. Catherine, die heute ihren schlechten Tag hat, aber um die Vierzig-Stunden-Woche ringt, will, daß jemand sie zur Gewerkschaft begleitet.
     
    «Nein», sagt Rose,

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