Der glückliche Tod
Mittel ist, um seine Würde zu erobern. Es war ihm gelungen, die Bitterkeit abzustreifen, die jeden rechtschaffenen Menschen bei dem Gedanken daran befällt, wie unbillig und niederträchtig die Entstehungsund Wachstumsbedingungen eines bevorzugten Schicksals sind. Jenen schmutzigen, empörenden Fluch, demzufolge die Armen im Elend das Leben beschließen, das sie im Elend begonnen haben, hatte er dadurch zurückgewiesen, daß er das Geld mit Geld, den Haß mit Haß bekämpfte. Und es kam manchmal vor, daß aus diesem Kampf zwischen Tier und Tier der Engel, ganz erfüllt von dem Glück seiner Flügel und seiner Herrlichkeit, unter dem warmen Hauch des Meeres hervortrat. Tatsache war nur, daß er zu Bernard nichts gesagt hatte und daß seine Tat von nun an geheim bleiben würde.
Am Nachmittag des folgenden Tages, gegen fünf Uhr, reisten die Kinder ab. In dem Moment, als sie in den Autobus stiegen, wendete Catherine sich noch einmal zum Meer zurück.
«Auf Wiedersehen, Strand», sagte sie.
Gleich darauf blickten drei lachende Gesichter durch die hinteren Fenster Mersault an, und dann verschwand der gelbe Autobus wie ein goldenes Insekt im Licht. Der Himmel, wiewohl klar, lastete schwer. Allein auf der Landstraße stehend, wurde Mersault auf dem Grunde seines Herzens von einem Gefühl erfaßt, das eine Mischung aus Befreiung und Traurigkeit war. Heute erst wurde sein Alleinsein Wirklichkeit, weil er sich heute erst daran gebunden fühlte. Und daß er sich mit seiner Einsamkeit abgefunden hatte und sich künftig als Herr über die kommenden Tage empfinden konnte, erfüllte ihn mit der Melancholie, die aller Größe anhaftet.
Anstatt die breite Fahrstraße einzuschlagen, kehrte er zwischen Johannisbrot- und Olivenbäumen auf einem kleinen gewundenen Pfad am Fuß des Gebirges zurück, der hinter seinem Haus mündete. Er zertrat ein paar Oliven und sah, daß der Weg ganz und gar mit schwarzen Flecken gesprenkelt war. Wenn der Sommer zu Ende geht, entsenden die Johannisbrot - bäume über ganz Algerien einen Duft von Liebe, und abends oder nach dem Regen ist es, als ruhe die ganze Erde, nachdem sie sich der Sonne hingegeben hat und ihr Leib noch feucht ist von einem Samen, der den Duft von bitteren Mandeln in sich trägt. Den ganzen Tag über war dieser Duft schwer und drückend von den großen Bäumen herniedergeströmt. Auf dem kleinen Pfad wurde er am Abend und bei dem gelösten Aufseufzen der Erde leicht, kaum noch spürbar für Patrice—wie eine Geliebte, mit der man nach einem langen erstickenden Nachmittag auf die Straße hinaustritt und die, während man Schulter an Schulter mit ihr weiterschreitet, einem zwischen den Lichtern und der Menge einen Blick zuwirft.
Aus diesem Liebesduft und den zertretenen duftenden Früchten ersah Mersault, daß der Sommer zu Ende ging. Ein großer Winter würde kommen. Doch er war reif dafür, ihn zu erwarten. Von dem kleinen Weg aus konnte man das Meer nicht sehen, wohl aber auf dem Gipfel des Berges leichte rötliche Nebel erkennen, die den Abend ankündigten. Auf dem Boden verblaßten Lichtflecke langsam zwischen den Schatten des Laubwerks. Mersault atmete kräftig den bitteren Duft ein, der an diesem Abend seiner Hochzeit mit der Erde die Weihe gab. Dieser Abend, der sich auf die Welt niedersenkte, auf den Weg zwischen Oliven- und Mastixbäumen, auf die Weinberge und die rote Erde am Rande des sanft rauschenden Meeres, drang in ihn ein wie eine Flut. So viele ähnliche Abende waren schon in ihm wie das Versprechen eines Glücks gewesen, daß er an der Tatsache, diesen hier als ein Glück zu erleben, den Weg ermaß, den er von der Hoffnung bis zum Erfolg durchlaufen hatte. In der Unschuld seines Herzens nahm er diesen grünen Himmel und diese liebesfeuchte Erde mit dem gleichen Beben der Leidenschaft und des Verlangens hin, mit dem er in der Unschuld seines Herzens Zagreus getötet hatte.
Im Januar blühten die Mandelbäume. Im März bedeckten sich Birnen-, Pfirsich- und Apfelbäume mit Blüten. Einen Monat später schwollen die Quellen unmerklich an, sprudelten dann aber bald wieder wie sonst. Anfang Mai fand die Heuernte statt, und an den letzten Tagen schnitt man Hafer und Gerste. Schon waren die Aprikosen sommerlich geschwellt. Im Juni erschienen die Frühbirnen zur Zeit der großen Ernten. Schon begannen die Quellen auszutrocknen, und die Hitze nahm zu. Aber der auf dieser Seite versiegende Lebenssaft der Erde ließ anderswo die Baumwolle
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