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Der glückliche Tod

Der glückliche Tod

Titel: Der glückliche Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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wachsen und gab den ersten Trauben ihre Süße. Ein mächtiger, glutheißer Wind erhob sich, der die Felder ausdörrte und fast überall Brände entstehen ließ. Dann auf einmal wendete sich das Jahr. In aller Eile wurde die Weinlese beendet. Der Regen, die großen Wolkenbrüche von September bis November fegten die Erde rein. Kaum aber waren die Sommerarbeiten beendet, so begann auch schon die Bestellung und die erste Aussaat, während die Quellen wieder jäh anwuchsen und zu Sturzbächen wurden. Bei Jahresende sproß bereits der Weizen auf manchen Feldern, während auf anderen die Bestellung noch kaum beendet war. Ein wenig später standen die Mandelbäume wieder im weißen Gewände vor einem eisigen blauen Himmel. Das neue Jahr rollte auf der Erde und am Himmel ab. Der Tabak wurde gepflanzt, der Weinberg bestellt und geschwefelt, die Bäume wurden gepfropft. Im gleichen Monat reiften die Mispeln heran. Wieder lösten Heumahd, Kornernte und die Sommerbestellungen einander ab. In der Mitte des Jahres kamen große saftige und an den Fingern klebende Früchte auf den Tisch: Feigen, Pfirsiche, Birnen, die man gierig zwischen der Drescharbeit aß. Bei den folgenden Weinlesen bedeckte sich der Himmel. Von Norden her zogen schwarze schweigende Ketten von Staren und Drosseln über das Land. Für sie waren die Oliven schon reif genug. Kurz nach ihrem Durchzug erntete man sie. In der lehmigen Erde sproß ein zweites Mal das Korn. Ebenfalls von Norden kommende dicke Wolkenberge zogen über Meer und Erde hin, fegten den Schaum vom Wasser und ließen es sauber und eisig unter einem kristallenen Himmel zurück. Mehrere Tage hindurch zuckten am Abend ferne, lautlose Blitze auf. Die ersten Fröste setzten ein.
     
    Zu diesem Zeitpunkt hütete Mersault ein erstes Mal das Bett. Anfälle von Rippenfellentzündung hielten ihn einen Monat lang an das Zimmer gefesselt. Als er wieder aufstand, waren die untersten Hänge des Chenoua bis hinab zum Meer mit Blütenbäumen bedeckt. Niemals hatte er einen Frühling so intensiv erlebt. Und in der ersten Nacht seiner Rekonvaleszenz wanderte er lange über die Felder bis zu dem ruinenbedeckten Hügel hin, an dem Tipasa schlummerte. In der nur von den seidigen Geräuschen des Himmels belebten Stille ergoß die Nacht sich wie Milch über die Welt. Mersault ging die Steilküste entlang, ganz durchdrungen von der ernsten Meditation dieser Nacht. Von weiter unten her vernahm er den sanften Singsang des Meeres. Man sah es liegen, voller Mondschein und Samt, geschmeidig und glatt wie ein Tier. In dieser Stunde, in der sein Leben ihm so fern vorkam, hatte Mersault, allein und gleichgültig allem, sogar sich selbst gegenüber, das Gefühl, daß er endlich erreicht habe, was er suchte, und daß der Friede, der ihn erfüllte, aus der geduldigen Selbstaufgabe erwachsen sei, die er erstrebt und nun mit Hilfe dieser glutvollen Welt erreicht hatte, die ihn ohne Zorn verleugnete. Er wanderte leicht dahin, und das Geräusch seiner Schritte erschien ihm fremd, zweifellos vertraut, aber doch nur in der Weise wie das Rascheln der Tiere im Mastixgebüsch, das Klatschen der Meereswogen oder das Pochen der Nacht in der Tiefe des Himmels. Und ebenso empfand er seinen Körper, aber mit der gleichen äußeren Bewußtheit wie den warmen Hauch dieser Frühlingsnacht und den Salz- und Fäulnisgeruch, der vom Meer aufstieg. Sein Durchstreifen der Welt, sein drängendes Verlangen nach Glück, die furchtbare, mit Knochen und Hirn angefüllte Wunde von Zagreus, die Stunden wohligen Verweilens im Haus vor der Welt, seine Frau, seine Hoffnungen und seine Götter, alles das war ihm gegenwärtig, aber wie eine Geschichte, die er ohne triftigen Grund lieber mochte als andere, zugleich fremd und heimlich vertraut, ein Lieblingsbuch, das dem Herzen im Innersten schmeichelt und ihm Bestätigung verschafft, obwohl es ein anderer geschrieben hat. Zum ersten Mal erkannte er in sich selbst keine andere Wirklichkeit als die einer Leidenschaft für das Abenteuer, eines Verlangens nach glutvollem Dasein, eines klugen warmen Instinkts der Verwandtschaft mit der Welt. Frei von Zorn und Haß, kannte er keine Reue. Auf einem Felsen sitzend, dessen blatternarbige Oberfläche er unter seinen Händen spürte, sah er das Meer unter dem Mondlicht sich schweigend höher heben. Er dachte an Luciennes Gesicht, das er gestreichelt hatte, an die feuchte Wärme ihrer Lippen. Auf die glatte Oberfläche des Wassers setzte der Mond wie Ölstreifen lange

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