Der glückliche Tod
wandernde Tupfen, die etwas von einem Lächeln hatten. Das Wasser war sicher lauwarm wie ein Mund, weich und bereit, dem Druck eines Mannes nachzugeben. Mersault, der noch immer saß, fühlte in diesem Augenblick, wie nahe das Glück den Tränen, wie sehr es in jene schweigende innere Erhebung eingefangen ist, in die Hoffnung und Verzweiflung eines Menschenlebens miteinander vermischt eingewoben sind. Bewußt und dennoch fremd, von Leidenschaft verzehrt und teilnahmslos begriff Mersault, daß sein Leben und sein Schicksal sich hier vollendeten und daß all sein Bemühen nur noch darauf gerichtet sein würde, mit diesem Glück ins reine zu kommen und sich seiner schrecklichen Wirklichkeit zu stellen.
Er mußte sich jetzt in das warme Meer stürzen, sich verlieren um sich wiederzufinden, in Mondschein und lauer Wärme schwimmen, um in sich, was von der Vergangenheit noch vorhanden war, zum Schweigen und den tiefinneren Sang seines Glücks zum Ertönen zu bringen. Er zog sich aus, stieg über ein paar Felsen hinab und ließ sich ins Wasser gleiten. Es war warm wie ein Körper, schlüpfte an seinen Armen entlang und umfaßte seine Beine in einer ungreifbaren, stets gegenwärtigen Umarmung. Er schwamm mit regelmäßigen Stößen und fühlte, wie seine Rückenmuskeln für seine Bewegung den Takt angaben. Jedesmal, wenn er den Arm hob, ließ er auf das unendlich weite Meer Garben von silbernen Tropfen sprühen, gleichsam als streue er angesichts des stummen lebendigen Himmels die gleißende Saat für eine Ernte des Glücks aus. Dann tauchte er den Arm wieder tief ein und ließ ihn wie eine Pflugschar das Wasser aufwühlen, durchfurchen, um eine neue Stütze und eine noch jüngere Hoffnung zu finden. Hinter ihm entstand unter dem Schnellen seiner Füße ein Wirbel von Schaum und zu gleicher Zeit ein klatschendes Geräusch von Wasser, das seltsam hell in der Einsamkeit und Stille der Nacht vernehmbar war. Im Hochgefühl seiner rhythmischen Bewegung und seiner Kraft stieß er rascher vor und fand sich bald weit von der Küste entfernt, allein im Herzen der Nacht und der Welt. Er mußte plötzlich an die Tiefe denken, die unter seinen Füßen sich erstreckte, und hielt in seiner Bewegung inne. Alles, was unter ihm war, zog ihn an wie das Antlitz einer unbekannten Welt, eine tiefere Dimension dieser Nacht, die ihn sich selber wiedergab, das aus Wasser und Salz bestehende Herz eines noch unerforschten Lebens. Eine Versuchung überkam ihn, die er alsbald in der großen Freudigkeit seines Körpers von sich wies. Er schwamm kraftvoller und noch weiter hinaus. Wunderbar ermattet wandte er sich darauf zum Ufer zurück. In diesem Augenblick geriet er plötzlich in eine eiskalte Strömung und mußte mit klappernden Zähnen und aus dem Takt geratenen Bewegungen innehalten. Diese Überraschung, die das Meer ihm bereitete, setzte ihn in Erstaunen; die eisige Kälte drang in seine Glieder ein und verbrannte ihn wie die Liebe eines Gottes mit einer erleuchteten, leidenschaftlichen Verzückung, die ihm alle Kraft entzog. Mühsam kehrte er zurück, und am Ufer kleidete er sich, allein mit dem Himmel und dem Meer, schlotternd vor Kälte und lachend vor Glück wieder an.
Als er nach Hause kam, wurde er von Unwohlsein befallen. Von dem Pfad aus, der vom Meer hinauf zu seiner Villa führte, konnte er das gegenüberliegende felsige Vorgebirge, die glatten Stümpfe der Säulen und der Ruinen sehen. Und plötzlich stand die Landschaft auf dem Kopf, und er merkte, daß er an einem Felsen lehnte, halb zurückgesunken auf einen Mastixbusch, dessen zerknickte Blätter ihren Duft aufsteigen ließen. Mit Mühe schleppte er sich zur Villa zurück. Sein Körper, der ihn eben noch auf die Gipfel der Freude getragen hatte, ließ ihn jetzt in einen Zustand des Elends versinken, der ihn am Leib anpackte und ihm die Augen verschloß. Er bereitete sich Tee. Aber er hatte einen schmutzigen Kochtopf zum Wasserkochen benutzt, und der Tee war so fettig, daß ihm fast übel wurde. Indessen trank er ihn, bevor er sich schlafen legte. Als er die Schuhe auszog, fielen ihm an seinen Händen, die völlig blutleer waren, die stark rosig gefärbten, vergrößerten und über die Fingerspitzen gekrümmten Nägel auf. Nie hatte er solche Fingernägel gehabt, durch die jetzt seine Hand verkrüppelt und krankhaft wirkte. Er hatte das Gefühl, als laste ihm ein beklemmender Druck auf der Brust. Er hustete und spuckte ein paarmal auf ganz normale Art, obwohl er in seinem
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