Der glücklose Therapeut - Roman
daher eindeutig suspekt « , fuhr er fort, » ich würde immer einen Finanzberater vorziehen, der noch nie bankrottgegangen ist, einen Ethiklehrer, der noch nicht wegen Unterschlagung im Gefängnis gesessen hat, und einen Therapeuten, der nicht selbst therapiert wurde. Denn verheilte Wunden können jederzeit wieder aufbrechen. «
Ich bin geneigt, ihm recht zu geben. Ich finde, dass es auf der Welt definitiv einen Platz gibt für einen Therapeuten wie John Savoia, der alles ist, was seine Klienten nicht sind – selbstbewusst, gebildet und elegant. Er kann sich weder mit ihnen identifizieren, noch von ihnen zu irgendetwas überredet werden oder nach ihrer Pfeife tanzen. Er kann sie nur behandeln. Er hat keine Wunden, die aufreißen und sein makellos gebügeltes Hemd beflecken könnten.
Doch in meinem intellektuellen Wankelmut, mit dem John sich nicht abfinden wollte – und wer hätte ihm das zum Vorwurf machen wollen –, war ich auch der Meinung, dass genauso, wie seine mangelnde persönliche Erfahrung mit Depressionen ihn zu einem geeigneten Therapeuten von Depressiven machte, ihn seine mangelnde Erfahrung bezüglich des Verlassenwerdens absolut ungeeignet erscheinen ließ, mir bezüglich des Verlassenwerdens einen Rat zu erteilen. Aus ebendiesem Grund war er auch nicht qualifiziert, mir in Bezug auf meine Beziehung zu Barry Long einen Rat zu erteilen.
21
N ach Alex’ Auszug brachte ich mein Auto immer öfter in die Werkstatt meines Bruders. Ich tauchte mit irgendeiner Geschichte über ein verdächtiges Motorengeräusch dort auf, was sich als prophetisch erweisen sollte, da Jeffrey, sobald er unter die Haube guckte, um meiner vordergründigen Beschwerde nachzugehen, unweigerlich etwas fand, das tatsächlich repariert werden musste.
» Du musst es nicht sofort machen lassen « , sagte er dann, » du kannst auch noch warten. Aber wenn wir vorausdenken und in Zukunft größere Probleme vermeiden wollen, dann ist es vielleicht besser, sofort etwas zu unternehmen. Deine Entscheidung, Doktor. «
Jeffrey beschäftigte sich intensiv mit strategischer Planung. Er sagte dann zum Beispiel: » Wenn du das Teil jetzt austauschst, dann kostet es dich soundso viel. Wenn du wartest, bis es kaputt ist, bezahlst du das Doppelte. «
Ich saß für gewöhnlich in dem ramponierten Sessel in seinem Büro und betrachtete das verstaubte Foto über dem Tresen, auf dem er mit einem lächelnden Mädchen im Volleyballtrikot im Arm zu sehen ist. Ich dachte dann an dieses Mädchen, Sam, daran, dass sie mich nicht mehr in den Arm nahm – sie war ständig gereizt und mit anderen Dingen beschäftigt. Daran, dass sie immer seltener anrief und kaum zu Besuch kam, obwohl ihr Campus nur zehn Meilen von meinem Haus entfernt lag. Ich verstand: Ihre eigenen Pläne drängten, wie alle Pläne der Jugend; ihr Blick war nach vorne gerichtet, auf die Welt, die sich vor ihr öffnete wie eine Sonnenblume. Sie war trunken vom Rausch einer jungen Liebe. Sie hatte keine Zeit, die Last ihrer Eltern zu tragen, die Last dieser beiden alternden Mulis, die vom Weg abgekommen waren. Ich verstand das und hatte trotzdem den Verdacht, dass sie immer noch ihre Mom umarmte und anrief. Obwohl ich es nicht mit Sicherheit sagen konnte, da ihre Mom nicht mehr da war und ich nicht mehr wusste, wer sie umarmte oder anrief.
Ich hatte das Gefühl, dass Sam mir die Schuld gab an unserem Debakel. Und nahm es ihr übel. Doch dann machte sich ein zweiter, unangenehmerer Gedanke bemerkbar: Vielleicht hatte Sam etwas geahnt, intuitiv die Wahrheit erfasst. Vielleicht hatte sie ganz richtig gespürt, dass ihre Mutter, die nicht zu Kleinlichkeit und Launenhaftigkeit neigte, nicht einfach aufgestanden und ohne Grund gegangen war, sondern dass es tatsächlich Gründe gab; dass auch ihr Vater in dieser Sache eine Rolle spielte. Er hatte seinen Anteil daran, der zerstreute Vater, durch seine chronische Abwesenheit, durch den dünnen Firnis der Melancholie, der sich im Laufe der Jahre auf ihn herabgesenkt hatte wie Staub auf die oberen Regale im Wohnzimmer, durch die schweigenden Fahrten, die er genoss, ohne zu bemerken, dass die Schweigsamkeit seiner Frau vielleicht eher Resignation ausdrückte als Wohlbefinden. Vielleicht hatte Sam erfasst, dass ihr Vater nicht strategisch gedacht, die Symptome nicht richtig interpretiert, die Teile nicht zu einem Ganzen zusammengesetzt hatte. Mit Sicherheit hatte er das nicht getan. Und würde jetzt doppelt dafür bezahlen.
Diese Gedanken
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