Der Gluecksmacher
Stattdessen summte er, gemächlich den Gang entlang schreitend, eine Melodie, mit der sein kleiner Sohn ihn an diesem Morgen aus dem Schlaf gelockt hatte. »Der alte Specht, der klopft schon schlecht. Nicht geht’s mehr so, wie er gern möcht. Mmmh – mh mh, Mmmh – mh mh.«
Für das Gespräch mit der Chefin nahm er sich lediglich eine Sache vor. Es war eine Idee, die er schön fand, wunderbar einfach auch, und die er einem seiner Bücher entnommen hatte. Die Hindus nämlich, hatte er gelesen, legten jedes Mal die Hände wie zum Gebet zusammen, wenn sie jemanden begrüßten. Damit riefen sie sich in Erinnerung, dass in jedemMenschen, gleich welcher Art er auch sei, ein Teil Gottes stecke. Auf diese Weise geschehe es wie selbstverständlich, dass jede menschliche Begegnung mit der denkbar freundschaftlichsten Grundstimmung beginne.
Als Dimsch den Glaskubus von Irene Großburg betrat, ließ er sich von ihrem schiefen Blick nicht irritieren, auch nicht vom abfälligen Lächeln Torbergs und auch nicht vom Wegsehen Lara Lichtenfels’. Er betrat das Büro mit offenem Gesicht, faltete behutsam die Hände vor der Brust und verbeugte sich vor jedem der Anwesenden leicht, wobei er (zur Besinnung) kurz die Augen schloss.
»Was soll das jetzt?!« Großburg starrte ihn an, als habe er ihr vor die Füße gespuckt.
»Nur eine freundliche Begrüßung, Irene.« Für einen Augenblick überlegte Dimsch, ob er ihr die Sache erklären sollte, dass sie nämlich göttlich sei, gleichfalls Torberg und selbstverständlich auch Lara Lichtenfels.
»Lass die Albernheiten, Sebastian.« Großburgs Ärger zeigte sich an ihren Wangen. »Sag einmal, bist du irgendeiner Sekte beigetreten? Zuerst diese linke Aufmachung mit Schlapp-Pulli und Hippie-Jeans und jetzt das gerade eben.«
Torberg unterdrückte ein Prusten.
Lichtenfels schlug die Augen nieder.
»Nein, alles in Ordnung«, sagte Dimsch
»Alles in Ordnung«, wiederholte Torberg amüsiert.
Irene Großburg zog die Augenbrauen hoch, besah Dimsch noch einmal von oben bis unten, atmete durch.
»Ich hab dich eigentlich nur rufen lassen, also zu mir gebeten«, sie schaffte ein knappes, professionelles Lächeln, »weil ich dich über eine Neuigkeit informieren möchte, die indirekt auch dich betrifft.«
Dimsch nickte.
»Ich habe mich entschieden, eine große Mitarbeiterumfrage durchzuführen. Weißt du, ein Unternehmen wie das unsere kann nie genug wissen über die Befindlichkeit der Belegschaft. Human Resources – das ist von immenser Bedeutung. Ich erwarte mir neue Ansätze, frische Ideen, jedenfalls birgt diese Umfrage enormes Potential. Und ich hoffe auf dein Verständnis, dass ich sie von einer externen Firma durchführen lasse, weißt du, ich finde, das sollten einfach Profis machen, von außerhalb, die unbefangen sind und damit Erfahrung haben. Unser Aufsichtsrat sieht das ganz genau so, er steht voll dahinter, es ist jedenfalls sicher nicht gegen dich persönlich gerichtet, ich hoffe, du kannst das auch so nehmen.«
»Klar, gar kein Problem.« In Dimschs Blick flackerte Fröhlichkeit.
»Gut. Sehr gut. Das freut mich. Gut.« Irene Großburg zog ihren Rock zurecht. »Die zuständige Dame ist eine gewisse Frau Fischer«, fuhr sie geschäftig fort. »Sollte sie etwas Fachspezifisches von dir brauchen, sei ihr doch bitte behilflich.«
»Klar. Wenn Eva was braucht, helfe ich ihr gern.«
»Eva?« Großburg sog Luft durch die Nase ein. »Ihr habt euch also schon angefreundet?«
»Nein, nein, so kann man es nicht sagen.« Dimsch lächelte. »Wir haben nur ein paarmal miteinander gesprochen. – Sie hat ihr Büro ja gleich gegenüber meinem«, ergänzte er, als er Verstörung in den Gesichtern rundum bemerkte.
»Okay.« Großburg war aufgestanden, prüfte den Halt ihres hochgesteckten Haars und schaute Dimsch darauf angestrengt an, als versuchte sie, durch seine Stirn hindurch direkt in seine Gedanken zu sehen. »Sebastian, du bist doch unser Experte, was Umfragen anbelangt. Ich meine, niemand von uns kennt sich da so gut aus wie du. Denkst du, dass Frau Fischer,dass Eva, die Richtige für den Job ist, dass sie es auch gut anlegt?«
Dimsch wollte nicht zu rasch
ja
sagen, wollte sich einen klugen, ausgewogenen Satz zurechtlegen, als eine auffällig laute Stimme vom Großraumbüro bis in den Glaskubus drang. Es war, als ob ein Windstoß, wie aus dem Nichts, sämtliche Fenster gleichzeitig aufgedrückt hätte und nun als Sturm durch das Stockwerk fegte, gewaltig, atemraubend.
»O
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