Der Gluecksmacher
harmonisch und voll Freude. Auf der Couch hatten sie es sich gemütlich gemacht, alle vier, die ganze Familie, und Dimsch sah zu, wie sich seine kleine Tochter über das angewinkelte Bein seiner Frau plumpsen ließ, fröhlich glucksend. Und weil er sich vorstellte, dass dieses Glück einmal nicht mehr sein könnte, wurde sein Herz schwer vor Dankbarkeit und auch vor Angst.
So herzstechend schön ist das Glück erst, dachte Dimsch, wenn man sich dessen Abwesenheit vorstellt.
5
»Ärgere dich doch nicht über solche Nebensächlichkeiten.« Eva Fischer berührte kurz Dimschs Hand. »Frau Großburg überlegt es sich sicher noch.«
Auch Lara Lichtenfels umarmte ihn mit ihrem Blick. »Sebastian, das wird schon noch, ich rede mit ihr.«
Irene Großburg hatte Dimsch eine Liste mit Personengruppen geschickt, die von der Glücksversicherung ausgeschlossen werden sollten, aus
Gründen des Deckungsbeitrages und der Gewährleistungssicherheit,
wie sie in ihrer E-Mail mitgeteilt hatte, nicht ohne eine Frage anzufügen, für deren unangenehme Notwendigkeit sie offenbar Dimsch verantwortlich machte:
Was sind das für Menschen, die unsere Versicherung wollen!!!!!! In den Erhebungen muss ich lesen, dass zwanzig Prozent der Interessierten depressiv sind! Zwanzig Prozent!!!!!!! Welche Leute lockst du uns da als Kunden an!!!!!!!!
Dimsch hatte geantwortet, dass eine Quote von zwanzig Prozent Depressionsgefährdeten exakt dem Landesdurchschnitt entspräche, weniger Depressive gäbe es nun einmal nicht, und sie von der Glücksversicherung auszuschließen würde ihre Zahl wohl kaum senken, sei also völlig (an dieser Stelle konnte es sich Dimsch im Rausch der Gefühle nicht verkneifen, ebenfalls fünf Rufzeichen einzufügen), sei also
völlig!!!!! widersinnig,
ebenso wie der von ihr verlangte Ausschluss aller Arbeitslosen und Alleinerziehenden.
»Kopf hoch, Leute!«, rief Rainer fröhlich laut in die Runde und, wie es schien, gänzlich unbehelligt von der gedrückten Stimmung. »Es gibt auch positive Neuigkeiten: Das Gesundheitsministerium wird unser Produkt unterstützen! Denn«, er hob beide Arme, gleich einem Dirigenten vor dem Schlussakkord, »Glück macht gesund!«
Genießerisch schlug Torberg die Augen nieder. »Vielleicht hat es ja auch geholfen, dass ich die Ministerin persönlich kenne. Aber entscheidend waren natürlich deine Argumente, Sebastian.« Unter Zuhilfenahme seiner Finger zählte er auf: »Glückliche Menschen haben nachgewiesenermaßen ein stärkeres Immunsystem, ihr Körper schüttet geringere Mengen des Stresshormons Kortisol aus, nach Operationen erholen sich glückliche Menschen rascher als unglückliche, sie haben eine höhere Lebenserwartung und«, Torberg stellte mit einem Blick auf seine Finger fest, dass er zum letzten Argument kam, »Glück hat die Nebenwirkung, dass nicht nur Krankheiten weniger häufig auftreten, sondern auch soziales Fehlverhalten wie etwa Alkoholismus, Drogenkonsum, Gewaltbereitschaftund, mein lieber Sebastian, Depression.« Torberg genoss seine Schlussfolgerung: »Mit einem Wort, unsere liebe Chefin wird vor Glück springen, weil«, wieder unterstützte er die Aufzählung durch das Heben seiner Finger, »weil sich infolge der Glücksversicherung die Belastungsquote all unserer übrigen Produkte reduzieren wird, vornehmlich bei den Krankenversicherungen; weil der Staat sich an der Prämie beteiligen wird, wodurch wir sie höher ansetzen können«, er zwinkerte in die Runde, »und weil auch die Wirtschaft brav mitzahlen wird, weil ihre Mitarbeiter motivierter, gesünder und leistungsfähiger werden.«
»Das ist ja großartig, Rainer!«, rief Eva Fischer.
Lichtenfels zollte Torberg durch nachdenkliches Nicken Respekt.
Dimsch aber sagte nichts. Alle hatten ihre Blicke auf ihn gerichtet. Er sah nicht wesentlich vergnügter aus als vor Rainers Frohbotschaften.
»Was ist«, murmelte er, nachdem er mehrfach aufgefordert worden war, zu reden, »was tun wir«, wiederholte er mit unbewegter Miene und wie gedankenverloren, »wenn die Glücksversicherung gar nicht funktioniert?«
Draußen kreischte ein Rabe.
Als der Vogel abermals zu hören war, weiter weg diesmal, beugte sich Lara Lichtenfels vor. »Wie bitte, Sebastian?« Sie versuchte Blickkontakt aufzunehmen.
»Was ist, wenn sie nicht funktioniert, unsere Glücksversicherung? Wir wissen ja noch gar nicht, ob sie funktioniert.« Er redete noch immer wie zu sich selbst, tonlos beinahe. »Wenn sie nicht funktioniert, bricht der ganze
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