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Der Gluecksmacher

Der Gluecksmacher

Titel: Der Gluecksmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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Glück, nicht in Stunden, Tagen oder Wochen zu bewältigen ist. Die Aufgabe nimmt vielmehr ein ganzes Leben in Anspruch. Oder, wie Hindus und Buddhisten glauben, viele Leben, ja unzählige.
    Wenn Du mich fragst, liebe Leserin, lieber Leser, liegt die Krux darin, dass dauerhaftes Glück göttlich ist. Und wir sind nun einmal Menschen. Seien wir also froh, wenn wir ab und zu einen göttlichen Moment lang glücklich sein dürfen. Jetzt zum Beispiel.
    Sebastian Dimsch

    Wie naiv Sebastian ist!, dachte Rainer Torberg. Er glaubt, dass er als Verfasser der Glücksbroschüre aufscheinen wird. Torberg markierte Dimschs Vorwort mit dem Cursor, löschte es und begann jenes Vorwort zu tippen, das dem Glückshandbüchlein stattdessen vorangestellt werden würde:

    Sehr geehrte Kundin, sehr geehrter Kunde der Glücksversicherung!

    Mit diesem Handbuch möchten wir Ihnen dafür danken, dass Sie sich für eine Glücksversicherung aus unserem Haus entschieden haben. Das »ABC des Glücks« enthält Erkenntnisse und Ratschläge
der wichtigsten Philosophen seit Menschengedenken. Ein Experten-Team hat die Quintessenz ihrer Lehren exklusiv für Sie zusammengestellt. Denn für Sie ist uns das Beste gerade gut genug. Alles Glück dieser Erde wünscht Ihnen von ganzem Herzen Ihre
    Irene Großburg
    Vorstandsvorsitzende, Secur AG

    Wirkt ganz gut, dachte Torberg, als er sein Vorwort las, Irene wird’s gefallen. Und es fehlten auch nicht die drei magischen Worte
von ganzem Herzen,
ohne die Irene kein Schriftstück aus der Hand geben wollte.
    Als sie sogar in Kündigungen ihr obligates
von ganzem Herzen
einflechten wollte, hatte es einiges an Überzeugungskraft gebraucht, um die Chefin davon abzubringen. Sie hatte nicht wahrhaben wollen, dass die Floskel von gefeuerten Mitarbeitern als Zynismus verstanden werden konnte, ja verstanden werden musste. Irene sehnte sich so sehr danach,
von ganzem Herzen
zu sein, und wünschte sich so sehr,
mit ganzem Herzen
bedacht zu werden, dass sie darüber sich und die Welt aus den Augen verlor.
    Sei’s drum, dachte Rainer, ich werde die Frau nicht mehr ändern. Er lockerte den Knoten seiner Krawatte, las, was Dimsch als Nächstes geschrieben hatte:

    Sobald ein Mensch glücklich ist, beginnt er für gewöhnlich damit, sich neue Ziele und Wünsche auszudenken. Der Kampf darum verursacht naturgemäß Schwierigkeiten, graue Haare, Nervenzucken, Magenleiden. Wenn der Mensch an diesen selbst provozierten Übeln nicht elendig zugrunde geht, sondern sein Ziel erreicht, ist er wieder glücklich. Und zwar so lange, bis er derart verrückt ist, abermals neue, noch größere Ziele und Wünsche zu
erfinden. Womit er das Risiko des Scheiterns freilich abermals höher schraubt und höher und immer höher. Letztlich, es ist unumgänglich, muss er auf diese Weise unglücklich werden.
    Wunschlos glücklich bedeutet daher nicht, sich alle Wünsche erfüllt zu haben. Wunschlos glücklich bedeutet: nur wunschlos, ohne Wünsche, ist Glück.

    Gar nicht so dumm, dachte Rainer. Nur leider unbrauchbar für die Broschüre. Schließlich lebte die Versicherung von den Wünschen der Kunden. Je mehr Wünsche, desto mehr Rendite, so einfach war das. Dimschs Philosophie war also schlicht geschäftsschädigend. Der PR- und Marketingleiter der Secur AG markierte die entsprechende Passage und löschte sie.
    Das wird ja immer schlimmer, Rainer überflog den nächsten Absatz. Er hatte gehofft, zumindest irgendetwas aus Dimschs Sammelsurium verwenden zu können. Doch wie es aussah, musste er alles selbst machen. Er las die sechs Zeilen nochmals langsam, doch es wurde nicht besser, der Inhalt war desillusionierend und damit unbrauchbar für eine serviceorientierte Versicherung, von der die Kunden zu recht erwarten durften, dass sie ihnen gegen Gebühr jegliche Sorgen abnahm. Dimsch hatte doch tatsächlich vorgehabt, die Kunden anzuhalten, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
    Beende Deine Suche nach dem Glück.
    Es lässt sich nicht finden,
    existiert nicht einmal.

    Wenn Du Dich nach Glück sehnst,
    musst Du’s erfinden.
    Jeden Tag und immerzu.
    Als Torberg auch diese lyrischen Zeilen gelöscht hatte, war nicht mehr viel geblieben von Dimschs philosophischer Zusammenschau. Lediglich eine Passage war noch übrig, ein Gedicht Rainer Maria Rilkes:
    Du musst das Leben nicht verstehen,
    dann wird es werden wie ein Fest.
    Und lass dir jeden Tag geschehen
    so wie ein Kind im Weitergehen
    von jedem Wehen
    sich viele Blüten schenken lässt.

    Sie

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