Der goldene Esel
sprächen, tun sie mitten in der Vertraulichkeit wiederum die Frage: Wer er denn eigentlich wäre und welches seine Abkunft sei?
Die gute Psyche hatte unglücklicherweise in der Einfalt ihres Herzens das vergessen, was sie das erste Mal geantwortet hatte. Sie nimmt also zu einer neuen Erdichtung ihre Zuflucht.
Ihr Gemahl, sagt sie, sei aus der nächsten Provinz, führet einen großen Handel, sei sehr reich und ein Mann in den besten Jahren, der jedoch schon graues Haar mitunter habe.
Sie bricht darauf sogleich das Gespräch ab; überhäuft die Schwestern wiederum mit den reichsten Geschenken und sendet sie auf ihrem Luftfahrzeug wieder fort.
Indem diese, von Zephyrs stillem Hauche erhoben, nach Hause zurückkehren, sprechen sie also miteinander:
›Was meinst Du, Schwester,‹ sagt die eine, ›zu der albernen Lüge, die uns die Närrin da aufbürden will? Erst war's ein Jüngling, auf dessen blühender Wange sich eben der erste Bart kräuselte, und nun ist's auf einmal ein Mann in den besten Jahren, dessen Haar sich schon versilbert! Wer mag der sein, der in so kurzer Zeit alt und grau werden kann?‹
›Mir, Schwester,‹ antwortet die andere, ›kommt's nicht anders vor, als ob das garstige Weib uns mit ihren Lügen zum Besten haben wolle oder gar selbst nicht wisse, wie ihr Mann aussieht. Sei es von beiden, was es immer wolle, so kann ich sie nicht länger in dem Überflusse wissen. Ich ruhe nicht, sie muß alles verlieren. Sollte sie wirklich nicht wissen, wie ihr Mann aussieht, so ist sie zuverlässig an einen Gott verheiratet und geht Dir auch mit einem Gotte schwanger; aber wird sie (welches ich doch nicht hoffe) wirklich Mutter eines Götterkindes, so erhänge ich mich den Augenblick. Indes laß uns zu unseren Eltern gehen und morgen einmal, dieses Verdachts wegen, bei ihr auf den Strauch schlagen.‹
Das wird beliebt.
Scheineshalber werden die Eltern besucht. In brennender Ungeduld wird die Nacht durchwacht. Als der Morgen graut, sind sie schon wieder auf dem Felsen.
Mit Hilfe des Windes steigen sie, wie gewöhnlich, zu Psychen hinunter.
Sie pressen und reiben sich die Augen so viel, bis sie Tränen vergießen müssen. Dann reden sie voller Arglist das arme harmlose Weib mit diesen Worten an:
›Wohl Dir, Psyche, daß Du hier so in seliger Unwissenheit alles Unglücks und in ruhiger Sorglosigkeit wegen jeder Dir drohenden Gefahr dahinlebst, indes wir mit zärtlicher Besorgnis Tag und Nacht für Dein Wohl wachen und genug über Dein unseliges Schicksal jammern; auch dürfen wir's als wahre Mitleidende Dir nicht länger verhehlen. Wir haben für gewiß erfahren: ein großer, ungeheurer Drache, in verschlungenen Ringen einherkriechend, triefend von Blut und tödlichem Gift und gräßlich, mit weitem, aufgerissenem, unergründlichem Rachen, soll heimlich die Nächte bei Dir zubringen. Das hat Dir nun just auch das pythische Orakel prophezeit; denn Du wirst Dich erinnern, daß es lautete: Du solltest einem schrecklichen Ungeheuer vermählt werden. Und Bauern, Jäger und Nachbarn dieser Gegend haben ihn abends vom Fraße zurückkehren und sich hier im nahen Strome baden sehen. Alle sagen, am längsten würde er Dich hier im Wohlleben gemästet haben; sobald nur erst Deine Schwangerschaft völlig zur Reife gediehen, würde er Dich, als einen desto fetteren Bissen, verschlingen. Es steht nunmehr bei Dir, ob Du unserem, Deiner für Dein Leben besorgten Schwestern Rate folgend, dem Tode entfliehen und bei uns fern von aller Gefahr leben oder lieber in den Bauch dieser entsetzlichen Bestie Dich begraben lassen willst? Sollte Dir in dieser Einöde Deine Stimmengesellschaft und die schnöde, heimliche, gefahrvolle Lust in Deines giftigen Drachens Armen vor allem am besten behagen: Wohlan! so haben wir wenigstens als zärtliche Schwestern uns nichts vorzuwerfen, wir haben vollkommen das unsere getan.‹
Diese grausige Rede bemächtigt sich der Einbildungskraft der guten treuherzigen Psyche. Sie verlor plötzlich alle Fassung. Ihres Gemahls Warnung, ihr eigen Versprechen schwanden aus ihrem Gedächtnis. Blind stürzte sie sich in des Elends Abgrund hinein. Am ganzen Leibe zitternd, totenblaß, stammelte sie mit fast ausgehendem Atem diese Antwort heraus:
›O, Ihr gebt mir einen neuen Beweis von Eurer Liebe, Ihr teuren Schwestern! Und ach, die Euch jenes gesagt haben, haben wohl keine Lügen erdichtet. Noch niemals hab' ich meines Mannes Angesicht gesehen. Ich weiß nicht, wer er ist. Nur bei dunkler Nacht
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