Der goldene Esel
eines jeglichen Knie und bat also flehentlichst: »Bei allem, was Euch lieb und teuer ist, bei Eurem Leben, das reich sein möge an Glück und Heil und dem meinen an Länge gleichen, helfet mir armem, schwachem Greise, rettet meinen Kleinen vom Tode und gebt ihn meinem grauen Haupte wieder! Ach, mein Enkel, meines Wegs süßer Gefährte, wollte dort ein singendes Vögelchen haschen und fiel in eine tiefe unter Gesträuchen verborgene Grube. Er schwebt in der äußersten Lebensgefahr; noch aber lebt er. Er ruft mich, er schreit, er weint. Schwach, wie ich bin, kann ich ihm nicht helfen. Ihr aber, jung und stark, leicht könnt Ihr mir unglücklichem Alten die größte Wohltat erweisen und den letzten Zweig meines Stammes, meinen einzigen Nachkommen, vom Untergange erretten!«
Also flehte er, sein graues Haar zerraufend. Alle waren von Mitleid gerührt. Ein junger Kerl, mutiger, straffer denn alle anderen und noch dazu der einzige, der unbeschädigt aus dem vorigen Treffen entronnen war, machte flugs sich auf, fragte, wo der Knabe versunken, und ging hastig mit dem Alten fort, welcher mit dem Finger nach nicht weit davon stehendem Gesträuche hindeutete.
Man ließ uns darauf weiden und sorgte ferner für sich selbst. Nach einer Weile packte man wieder zusammen und wollte weiter, allein der junge Kerl war noch nicht wieder zurück. Man schrie, man rief ihn bei Namen: er kam nicht! Man wartete länger und länger: vergebens! Endlich schickte man ihm jemand nach, der ihn aufsuchen und, wenn er sich etwa verirrt, zurechtweisen sollte.
Dieser war kaum weg, so kehrte er schon leichenblaß wieder zurück und erzählte voller Wunder, daß er den Jungen zwar gefunden und gesehen habe, aber wie! Ein entsetzlicher Drache habe auf ihm gesessen und an ihm mit großer Gier genagt; fast sei er damit zu Rande gewesen. Kein Alter aber habe sich irgendwo blicken lassen.
Als sie das hörten und mit der Rede des Hirten zusammenhielten, zweifelten sie nicht mehr, daß dieser sie vor dem Drachen, der in diesem Walde hause, habe warnen wollen. Wie machten sie, daß sie von dem grausigen Orte wegkamen! Wir mochten noch so sehr eilen, dennoch war der Knüttel hinter uns her, um uns besser anzutreiben.
Nachdem wir in größter Geschwindigkeit einen weiten Weg zurückgelegt hatten, kamen wir nach einem Dorfe, wo wir übernachteten. Dort erfuhren wir eine sonderbare Geschichte, die für den Liebhaber des Erzählens schon wert ist.
Ein Sklave, dem sein Herr die Aufsicht über das Gesinde anvertraut hatte und der als Verwalter auf dem großen Gute gesessen, wo wir eingekehrt waren, hält es mit einer fremden Freien, ungeachtet er mit einer von den Sklavinnen des Meierhofes verheiratet war. Seine Frau, aus rasender Eifersucht über dies Kebsweib, legt Feuer an und verbrennt ihres Mannes Rechnungen mit allem Vorrate; ja, nicht zufrieden mit dieser Rache ihres befleckten Ehebetts, wütet sie noch gegen ihr eigen Fleisch und Blut. Sie legt sich einen Strick um den Hals, bindet daran das Kind, das sie mit ihrem Manne gezeugt, und zusamt diesem Anhange stürzt sie sich in einen tiefen Brunnen. Den Herrn reizte der Mord zum Zorne. Er ließ den Sklaven, durch dessen Liederlichkeit die Frau doch zu der Untat gebracht worden, beim Felle nehmen, splitterfasernackt ausziehen, von Kopf bis zu Fuße mit Honig beschmieren und an einen alten verfaulten Feigenstamm, worin alles von Ameisen kribbelte und wibbelte, dicht und fest anbinden. Wie die Ameisen bei ihrem Auf- und Abpatroullieren den süßen Honiggeruch witterten, fielen sie in unzähliger Menge über den armen Unglücklichen her, und unter ihren kleinen, emsigen Bissen mußte er des langsamsten, erbärmlichsten Todes sterben; sie schroteten so lange, bis alles Fleisch vom Gebein herunter war. Noch fanden wir das kahle, weiße Gerippe am Marterholze hangen.
Nachdem wir auch diesen abscheulichen Aufenthalt mit seinen betrübten Bewohnern verlassen, ging es wieder weiter. Den ganzen Tag durchmaßen wir flaches, ebenes Land, bis wir ermüdet in einer vornehmen, volkreichen Stadt eintrafen. Da beschlossen unsere Treiber für immer zu bleiben; denn so weit würde niemand ihnen nachspüren, und wegen der gesegneten Fruchtbarkeit des Bodens sei hier wohlfeil zu leben.
Drei Tage lang gaben sie ihrem Vieh Ruhe, Rast und Mast, damit es desto verkäuflicher würde, und dann ging's damit zu Markte. Der Ausrufer verkündigte mit lauter Stimme eines jeglichen Preis; zu den Pferden und anderen Eseln fanden sich gar
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