Der goldene Greif
sein.
Doch da öffnete Werigan die Augen und sah sich um wie jemand, der aus einem tiefen Traum erwacht. Der Greif war aus seinem Gesichtskreis getreten, so daß er nur die Freunde sah, die um sein Lager knieten. Als er sich nun auf den Ellenbogen aufrichtete, löste sich die Angst der Männer in Ausrufen der Freude. Alle versuc h ten, seine Hände zu ergreifen, und redeten wild durcheinander auf ihn ein.
,Halt, ihr Männer der Moradin!’ hörten sie plötzlich eine Stimme, die direkt in ihren Verstand drang. ,Seid behutsam mit eurem Freund, denn er ist noch sehr schwach. Zwar konnte ich ihn noch kurz vor dem Abgrund des Todes zurückreißen und seine Wunde heilen, aber das Blut, das der unheilige Boden Cygons getrunken hat, kann ich ihm nicht wiedergeben. Daher wird er noch einige Zeit der Schonung brauchen.’
Phägor trat in den Kreis der Männer, und nun sah ihn auch Werigan. Fassungslos versuchte er sich weiter aufzurichten, doch er sank kraftlos auf sein Lager zurück.
„Ja, dies ist Phägor!“ sagte Raigo, und in seiner Stimme lag Stolz und Freude. „Ich habe euch von diesem wunderbaren Freund erzählt, und wieder war er der Retter in der Not, wie schon so oft.“ Er wandte sich an Werigan. „Du verdankst ihm dein L e ben, Werigan. Wäre er nicht im letzten Augenblick gekommen, um dich zu retten, würde sich vielleicht jetzt schon das Band der Trauer um unsere Schläfen winden. Deine Lebenskraft rann aus dir heraus wie der Sand einer Uhr, langsam, doch stetig - und wir konnten sie nicht aufhalten. - Wie aber konntest du so schnell hier sein?“ fragte er Phägor, noch immer verwundert. „Das ist ein M y sterium, das ich nicht begreifen kann.“
, Als deine Freunde mit Werigan aus dem Schatten des Dämonen kamen, spürte ich seine Not, denn durch dich bin ich auch mit den Menschen verbunden, die du liebst. Ich wußte, daß Eile geboten war, wenn ich dir den Freund erhalten wollte. So bat ich Mynthar um Hilfe, und gnädig gewährte sie der Gott. Er sandte mir Ahath, den Wind des Südens, nach dem dein Roß seinen Namen hat, und auf seinen Schwingen wurde ich rechtzeitig hierher getr a gen. Wahrlich, gut schützt der Herr der Götter die, welche ihm dienen! Werigan war dieses Schutzes würdig, denn ohne seine Umsicht wäre dein Unternehmen leicht gescheitert, Ra i go. Doch nun will ich auch nach den Wunden der anderen sehen, denn auch ihnen gilt der Dank und die Fürsorge Mynthars.’
Allmählich hatten sich die Moradin an den Anblick des Greifen gewöhnt. Sie nähe r ten sich ihm nun ohne Scheu, und er heilte auch ihre Wunden. Als selbst die kleinste Blessur ve r schwunden war, sagte Phägor:
,Ich muß nun wieder fort, Raigo, denn du weißt, daß ich meinen Platz im Heiligtum nie lange im Stich lassen darf - noch nicht! Die Cygonen werden noch nicht nach Eja suchen, denn sie wissen, daß sie oft eigene Wege ging, und sind gewohnt, nicht danach zu fragen, was sie tut. Bleibt darum hier, bis Werigan wieder kräftig genug ist für die Reise. Doch dann sollte die Statue ohne Verzögerung zurück an ihren Platz gebracht werden. Ich darf sie nicht mi t nehmen, denn du selbst mußt nach dem Willen Mynthars deine Aufgabe zu Ende führen. Ich muß nun zurückfliegen, und Boras, der Nordwind, wird mich genau wie Ahath, sein Bruder, auf seinem Rücken zum Thron der Götter tragen. Leb wohl, Raigo, und lebt wohl, ihr Mor a din! Wir sehen uns wieder.’
Damit erhob er sich in die Lüfte, und so schnell war sein Flug, daß er in wenigen Augenbl i cken nicht mehr zu sehen war.
Drei Tage später hatte Werigan sich bereits so weit erholt, daß die Gefährten an Aufbruch denken konnten. Da war auch gut so, denn es war bitterkalt geworden, und das lagern unter freiem Himmel machte Mensch und Tier zu schaffen. Zwar hatten die Männer keine Not g e litten, denn besonders Storn war ein guter Jäger, und so hatte es ihnen nie an Wildbret g e fehlt. Auch Argin hatte nun nicht mehr für sich selbst jagen müssen, denn auch für ihn war der Tisch dadurch reich gedeckt gewesen. Aber die Pferde waren schlecht dran, denn es war sehr mühsam für sie, sich das Futter unter dem Schnee he r vorkratzen zu müssen.
Doch noch drei weitere Tage mußten die Freunde durch die Wildnis ziehen, bis sie wieder auf bewohnte Gegenden stießen. In der Nähe der cygonischen Grenze gab es keine Ansie d lungen, da die Bewohner des angrenzenden Landes die Überfälle ihrer räuberischen Nac h barn
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