Der goldene Greif
genügend Zeit, das Fest vorzubereiten. Darum folgt uns nun ins Tal, um den glücklichen Ausgang deiner gefahrvollen Reise und die Rüc k kehr des goldenen Greifen zu feiern.“
Und wieder war es der heitere Friede dieses gesegneten Tales und die warme Freundschaft dieses liebenswerten Volkes, die in Raigos Herz die Ruhe senkten, die Wunden seiner Se e le heilten und den Schatten des Grauens von ihm nahmen.
Am nächsten Morgen stieg Raigo mit zwei Wyranen zum Thron der Götter auf. Die schwere Statue trug er ihn einem Korb auf dem Rücken, denn diesmal hatte Huvran nicht zugegeben, daß man ihm seine Last abnahm.
„Du hast die Statue unter Lebensgefahr zurückgebracht“, hatte er gesagt, „und du sollst auch derjenige sein, der sie ihrem rechtmäßigen Herrn übergibt. Ich weiß, daß ihr Gewicht dich beim Aufstieg nicht behindern wird.“
Wirklich kam es Raigo so vor, als trüge er nur ein leichtes Bündel, als er sich an den schwi e rigen Aufstieg machte. Im Gegensatz zu dem ersten Mal, als er diesen Weg gegangen war, drückte ihn heute nicht die Sorge um den Spruch des Orakels. He u te war er heiter, voller Zuversicht und durchdrungen von der Vorfreude auf das Wiedersehen mit Phägor, den er ihm Heiligtum zu finden hoffte. Die Sonne schien schon warm, und über den frühlingsblauen Himmel segelten kleine, weiße Wolkenschiffe. Heute bemerkte Raigo auch die vielfältige V e getation, die sich in den Ritzen und Spalten der nackten Felswände angesiedelt hatte und die grauen Hänge des Throns der Götter mit bunten Farbtupfen sprenkelte: kleine Büschel von nickenden, hellblauen Glockenblumen, Goldprimeln, die ihre Blütenkrönchen keck in den frischen Wind streckten, Kissen von winzigen, schneeweißen Margeriten und viele a n dere Blumen, die er nicht kannte, deren farbenfohes Leuchten jedoch sein Herz erfreute.
Er hatte das Gefühl, daß es ihn diesmal viel weniger Anstrengung kostete, den la n gen Weg bis zum Heiligtum zurückzulegen, und war überrascht, daß es schon Mi t tag war, als sie die Plattform vor dem Tempel erreichten.
Haldran stand auf den Stufen zwischen den beiden Steingreifen und schien sie bereits zu e r warten.
„Sei willkommen, Raigo!“ rief er ihm entgegen, und ein frohes Lächeln erhellte das ernste Gesicht des Jünglings. „Sei willkommen, denn durch deine mutige Tat bringst du Segen über das Volk der Wyranen, denn Mynthar ist versöhnt nach der langen Zeit seines Grolls. Tritt ein und vollende, was du dem Gott versprachst.“
Raigo hob den Korb von seinem Rücken und nahm die Statue heraus. Auf seinen Armen trug er sie ins Heiligtum. Er hatte erwartet, Phägor auf dem Sockel sitzen zu sehen, doch das P o dest war leer. Eine erhabene Stille lag über der Halle, und ein Gefühl tiefer Ehrfurcht durc h strömte Raigo, als er nun auf den Sockel zuging. Als er die Statue nun hochhob und sie in der Mitte des Podestes absetzte, erfüllte ihn mit einmal ein unbändiges Glücksgefühl, und Stolz und Freude brandeten wie eine he i ße Woge in ihm auf.
Da schoß ein blendendes Leuchten aus dem Edelstein in der Kuppel und hüllte die goldene Statue in ein überirdisches Licht, vor dessen Helligkeit Raigo einen Auge n blick die Augen schließen mußte. Erschreckt trat er einige Schritte zurück. Als er die Augen vorsichtig wieder öffnete, war der gleißende Schein verschwunden, und die Statue erstrahlte in sanftem Leuchten.
Und dann erscholl eine Stimme aus dem goldenen Greifen:
„Ich danke dir, Menschenwesen, daß du meinen Auftrag so getreulich erfüllt hast. Durch de i ne kühne Tat ist der Frevel von meinem Heiligtum genommen. Rein und durch dein Leid von jedem Makel befreit ist die Statue nun. Denn nur, wenn ein Mensch, um mir zu dienen, den Schrecken des Dämon ertrug, wurde dessen Unreinheit von dem mir geweihten Stan d bild genommen, so daß ich es wieder als mein Eigentum anerkennen kann.
Doch nicht nur mir hast du einen Dienst erwiesen. Auch dein Freund Phägor ist nun frei zu gehen, wohin er will. Aber auch die Wyranen sollen teilhaben an meiner B e friedigung. Sage ihnen, daß keiner ihrer jungen Männer ab heute mehr als ein Jahr in meinem Dienst verbri n gen muß, es sei denn, er bliebe freiwillig. Wer von ihnen aber fünf Jahre meinen Dienst ve r sieht, der soll unter ihnen als mein Priester geac h tet sein.
Und nun geh, du hast dir deine Belohnung wirklich verdient! Fürchte nichts, was sich dir in den Weg stellt, denn meine Hand wird
Weitere Kostenlose Bücher