Der goldene Greif
Schönheit, und ihre ebenmäßigen Körperfo r men schienen seine Begierde zu erwecken. Der Reiter fragte etwas, und das Mä d chen schüttelte den Kopf und wies auf den Wald.
Raigo vermutete, daß er nach weiteren Anwesenden auf dem Hof gefragt hatte, und das Mädchen in seiner Ahnungslosigkeit hatte ihm erklärt, es sei allein. Als der Re i ter nun vom Pferd stieg, wurde Raigos Mund trocken und seine Hände verkramp f ten sich vor Entsetzen. Er ahnte, was nun kommen würde. Und wirklich - der Mann ergriff das erschrockene Mä d chen und schleppte die sich heftig Wehrende in die Kate.
Raigo stöhnte. Übelkeit stieg in ihm hoch, und seine Empörung und seine oh n mächtige Wut ließen seine Knie weich werden. Er sank vor der Wand nieder, die Stirn gegen die glatte Fläche gepreßt. Wie lange er so verharrt hatte, wußte Raigo nicht, doch auf einmal begann sich hinter dem Fenster wieder etwas zu regen. Ra i go wollte nicht hinschauen, doch wie unter einem Zwang wandte er seinen Blick erneut dem Geschehen zu.
Der Mann war aus der Hütte getreten und bestieg sein Pferd. Auf seiner Wange war ein bl u tiger Kratzer, aber sonst schien ihm seine üble Tat keinen Nachteil gebracht zu haben, denn ein zufriedenes Lächeln spielte um seine Lippen. Raigo wurde von Ekel geschüttelt, als er das sah.
,Einen solchen Mörder und Wüstling sollte man wie einen tollen Hund erschlagen!’ dachte er. ,Bekäme ich ihn in die Finger, so sollte er seinen Lohn wohl erhalten!’
Auf einmal jedoch wurde die Wand wieder trübe. Raigo richtete sich auf und wartete g e spannt, was nun geschehen würde. Wieder wurde die Wand klar, und zu seinem grenzenl o sen Erstaunen sah Raigo den Unhold auf sich zuschreiten. Unwillkürlich machte er einige Schritte rückwärts, und seine Hand legte sich auf den Schwertgriff.
Der Fremde ging direkt auf Raigo zu und - durchschritt die Wand! Raigos Entse t zensschrei hallte von den Wänden wieder. Der Mann, der da auf ihn zukam, war - er selbst!!
„Nein, nein!“ stammelte Raigo. Abwehrend hob er seinem Ebenbild die Hände en t gegen. Sein Verstand schien auszusetzen. Alle diese Untaten mit ansehen zu müssen und festz u stellen, daß er selbst oder sein Spiegelbild der Unhold war - und dann sich noch selbst g e genüberzustehen - das war mehr, als Raigo verkraften konnte. Zitternd und bleich stand er da, nicht begreifend und nicht fähig, sich zu rühren. Doch da begann sein Spiegelbild zu sprechen.
„Oh doch!“ höhnte Raigo, der Zweite. „Du selbst hast all diese Taten begangen. G e stehe es dir nur ruhig selber ein!“
„Nie! Niemals wäre ich fähig, so etwas zu tun!“ röchelte Raigo.
„Gut, gut“, antwortete der Andere. „Aber du wolltest es tun, nicht wahr? Hast du die Szenen nicht erkannt? Nein, natürlich nicht, denn du wolltest dich nicht erinnern. Denk nur an die Schlacht an Vangors Grenze, als ihr auf Fürst Haidur und seine Mannen traft. Haidur, Vangors größter Feind! Hast du nicht versucht, an ihn zu kommen, um ihn zu besiegen? Wie groß war dein Zorn, als es dir nicht gelang, dich zu ihm durchzukämpfen! Welche Ehre wäre es gewesen, derjenige zu sein, der Vangor von seinem schlimmsten Gegner befreite, nicht wahr? Aber diese Ehre errang der junge Vidor, denn er hatte auch noch das Glück des Ta p feren. Du warst so wütend , daß du die Fliehenden verfolgtest, was kein Ritter mit einem Gegner tut, der ehrlich mit ihm auf dem Schlachtfeld kämpfte. Nein, du hast sie nicht von rückwärts erstochen, aber du hättest es in diesem Augenblick gern getan, oder? Und der vom Pferd gestürzte Jüngling! Schwebte dein Schwert nicht schon über se i nem Hals, bevor du dich anders besannst? Wühlte nicht der Neid in dir, als du s e hen mußtest, wie Vangor und die Moradin den jungen Vidor feierten? Saß er nicht auf deinem Platz an Vangors Seite? Sicher, du selbst hast ihn zu diesem Platz g e führt, aber du hattest erwartet, daß Vangor ihm den Platz zu seiner Linken zuwe i sen würde. Doch du hattest dich verrechnet. Vangor war viel zu angetan von de i nem Edelmut, als daß er dir zuwider gehandelt hätte. Und - bist du Vidor nicht nachgegangen, als er betrunken zu seinen Räumen wankte? Erinnere dich an den Dämon des Neids und der Mißgunst in dir, der ihn lieber tot gesehen hätte. Schon gut - du hast ihn sicher in seine Gemächer gebracht, aber du hättest ganz gern gesehen , wenn er sich auf dem Weg dorthin den Hals gebrochen hätte, weil du ihm seinen
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