Der goldene Greif
Herzens das He i ligtum betreten.
Doch nicht länger will Mynthar den Frevel dulden, daß die ihm geweihte Statue im Tempel des Dämonen steht, den die Cygonen anbeten. Darum hat er dich erwählt, das Standbild an seinen Platz zurückzubringen. Mynthar sandte dir eines seiner Rösser, und auch das Schwert, das du trägst, erhieltest du durch seine Macht.
Sprich nun: Bist du bereit, dem Gott zu dienen und seinen Auftrag zu erfüllen?’
„Wenn ich dadurch mein Volk und das Volk meiner Freunde vor Krieg und Not b e wahren und das Leben der Frau retten kann, die ich liebe, bin ich bereit, alles zu tun, was Mynthar verlangt“, antwortete Raigo ohne Zögern.
Kaum hatte er dieses Versprechen gegeben, als Phägor aus seiner Erstarrung e r wachte. Mit einem Satz sprang er von dem Sockel herunter und stand vor Raigo.
,Raigo! Ich wußte, daß du es schaffen würdest! Und nun bist du hier. Mynthar sei Dank!’ erklang seine Stimme in Raigo. ,Komm, sage mir, was das Orakel dir verkü n det hat!’
,Was es mir verkündete?’ Raigo war verblüfft. ,Aber du hast es mir doch gerade selbst g e sagt.’
,Wenn der Geist des Gottes über mich kommt und ich seinen Willen verkünde, bin ich nur sein Werkzeug, und nichts, was ich sage, dringt zu mir vor. Darum bitte ich dich, sage mir, was ich dir kundtat. Vielleicht kann ich dir helfen, denn ich bin s i cher, daß Mynthar etwas Außergewöhnliches von dir verlangt, bevor er deinen Wunsch erfüllen will. Fast glaube ich, ich weiß, welche Aufgabe er dir gestellt hat. Folge mir! Wir müssen uns beraten, denn bald mußt du dich wieder an den Abstieg machen, wenn du nicht die Nacht auf dem Berg ve r bringen willst. Doch der Gott mag keine Unruhe in seinem Heiligtum. Wir werden uns daher einen anderen Platz für unser Gespräch suchen.’
Raigo war überrascht und glücklich. Nie hätte er gedacht, Phägor ausgerechnet hier wiede r zusehen. Er freute sich nicht nur, den geheimnisvollen Freund an seiner Seite zu wissen, sondern war auch froh, daß dieser ihm Rat und Hilfe für seine Aufgabe zugesagt hatte. Ra i go hatte sein Versprechen spontan gegeben, ohne über die Fo l gen nachzudenken. Erst jetzt wurde ihm bewußt, auf was er sich da eingelassen hatte. Ohne Phägors Hilfe oder zumi n dest seinen Rat wußte er nicht, wie er die Statue wiederb e schaffen sollte.
Phägor schritt auf eine der Türen zu, die Raigo vorher schon bemerkt hatte. Mit der Klaue öffnete er sie, und Raigo folgte ihm in ein geräumiges Nebengelaß. Es schien eines der Zimmer zu sein, die dem Diener des Gottes als Wohnung dienten. Doch Leadir war nicht darin. Der Greif ließ sich auf dem mit Fellen bedeckten Boden ni e der, und Raigo fand einen b e quemen Platz auf einem der Sitzkissen.
,Bevor du mir etwas über den Auftrag des Gottes erzählst“, sagte Raigo, ,bitte ich dich, mir zu erklären , was es mit der Kunde der Stimmen auf sich hat. Sie haben mir mit ihren schrecklichen Botschaften fast den Verstand geraubt. Obgleich mich Huvran beruhigen wol l te, daß alles nur Lüge sei, blieb mir doch die Sorge, daß einiges vielleicht doch stimmt. Ich weiß nur in einem Fall, daß ihre Einflüsterung Lüge war, denn ich fühle genau, daß du mein Freund bist und kein falsches Spiel mit mir treibst.’
,Sagten sie das?’ fragte Phägor. ,Ich weiß, daß die Stimmen sowohl Wahrheit als auch Lüge verkünden. Nur schwer gelingt es euch Menschen, sie zu durchschauen. Von welchem U n heil sprachen sie noch?’
,Sie sagten, daß Coriane im Sterben liege und nur gerettet werden kann, wenn ich sofort nach Imaran zurückkehre, und daß Krieg sei zwischen Imaran und Ruwarad, und daß die Barbaren im Norden unsere Grenzen bedrohen’, sprudelte Raigo he r vor.
,Nun, zumindest in einem Punkt kann ich dich beruhigen’, sagte Phägor. ,Deiner Braut geht es gut, und ihre Hoffnung auf deine Wiederkehr ist ungebrochen. Doch leider stimmt es, daß Konias mit einem Heer in Imaran eingefallen ist. Aber Tama n tes ist ein weitsichtiger Mann. Er hat nach deinem Aufbruch die Pässe nach Ruwarad mit seinen Truppen besetzt, da er Konias nicht traute. Zwar hat ein kleines Gefecht an der Grenze stattgefunden, aber Konias wurde zurückgeschlagen. Aber nun herrscht Feindschaft zwischen euren Ländern, und K o nias sucht nach einem Weg, Imaran von einer anderen Seite aus anzugreifen. Das aber geht nur durch das G e biet der Someder. Doch König Barlug liebt Konias nicht sehr und hat keine
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