Der goldene Greif
trat Raigo unter den Bäumen hervor. In seiner Hand blitzte das singende Schwert, dessen Warnung ihn aus dem Schlaf geschreckt hatte. Als er Eja hera n kommen sah, wußte er, daß er mit ihr würde kämpfen müssen. Er war aufgespru n gen und hatte den Umhang abgeworfen, der ihn nur behindert hätte. Trotz des Schlafs fühlte er sich schwach und au s gepumpt. Das hinter ihm liegende Entsetzen wirkte noch tief in ihm nach, und der Anblick Ejas ließ die Angst wieder in seiner Kehle hochsteigen. Doch dann dachte er an die Freu n de, die dieser schönen Bestie zum Opfer gefallen waren, und der Gedanke an Rache ließ ihn seine Schwäche überwinden. Nicht umsonst sollten die Besten der Moradin gefallen sein! Sie hatten ihn nicht aus dem Grauen gerettet, damit er hier von der Hand einer Frau fiele und der go l dene Greif wieder verloren ginge. Er mußte Eja töten und dann seinen Weg zu Ende gehen. Das war er dem Andenken der Gefährten schuldig.
Und so standen sie sich wieder gegenüber: die schöne Königin der Cygonen, g e kleidet wie ein Mann, das blankgezogene Schwert in der Hand - und der Prinz von Ruwarad, auf de s sen nacktem Oberkörper trotz der Kälte feine Schweißperlen der Schwäche und der A n strengung im Licht der durch die Wolke n risse schimmernden Morgensonne glänzten.
Ein triumphierendes Lächeln zog über Ejas Lippen, als sie ihren Gegner sah. Die Züge se i nes edlen Gesichts waren durch das Grauen gezeichnet, und violette Scha t ten lagen unter seinen Augen. Eja spürte, daß nur ein eiserner Wille diesen Mann aufrecht hielt, und ein flüchtiger Gedanke des Bedauerns berührte ihr Herz. Welch’ ein Gespiele wäre er gewesen! Doch der Haß und die Furcht vor Thorakor brannten in ihr, und sie freute sich über Raigos Schwäche, weil sie durch sie leichtes Spiel mit ihm zu haben glaubte. Zwar hatte sie ihre Zauberkraft verl o ren, doch sie vertraute auf ihre Fähigkeiten als Schwertkämpferin.
„Nun entgehst du mir nicht mehr, Randor, oder wer auch immer du sein magst!“ sprach sie siegessicher. „Dem Dämonen magst du entkommen sein, aber meinem Schwert wirst du nicht entfliehen. Nie habe ich geduldet, daß sich ein Mann meiner Macht entzog, und auch dir wird es nicht gelingen. Komm und versuche, ob du dem Tod durch meine Hand entrinnen kannst!“
„Höre, Eja, Königin von Cygon, du hast mich schon einmal unterschätzt!“ antwortete Raigo. „Hüte dich, es ein zweites Mal zu tun! Denn obwohl ich nie gegen eine Frau kämpfte, wird kein Mitleid oder gar Rücksicht meine Hand führen. Denn du bist keine Frau, sondern ein Geschöpf des Bösen, trotz der betörenden Hülle, die dich umgibt. Nur einmal hat mich diese in deine Hände gegeben, doch das gehörte zu meinem Plan. Du hast diesen Augenblick meiner Schwäche verstreichen lassen, ohne mich zu töten, weil du dir deiner Macht zu s i cher warst. Eine zweite Gelegenheit werde ich dir nicht geben. Aber du sollst wissen, daß wir nur nach Cygon kamen, um die Statue des Greifen zurückzuholen, die dein Vorfahr einst aus Mynthars He i ligtum gestohlen hat. Ich bin Raigo, Prinz von Ruwarad, ausgesandt von Mynthar, dem Herrn der Götter, um den Frevel zu tilgen, den die Cygonen begangen haben. Und meine Gefährten waren die Krone der Moradin, Vangors edle Recken, der Stolz und der Schirm von Ubiranien. Du hast sie meucheln lassen, sie, die mir wie Brüder waren! Schon darum werde ich dich nicht schonen. Und wie sollte ich vergessen, was du mir angetan hast? Nein, Eja, daß ich dich in meinen Armen hielt, wird meine Hand nicht zittern lassen, denn es geschah, um dich in Sicherheit zu wiegen. Gla u be mir, ich werde dich töten, und wenn es auch das Letzte wäre, was mir Mynthar zu tun vergönnt!“
Eja erschrak, als sie hörte, wer da in ihr Land gekommen war und warum sie k a men. Ihr Hochmut und ihr Vertrauen auf die ihr durch Thorakor verliehene Macht hatte sie blind g e macht für die Zeichen. Sie hätte wissen müssen, daß das keine gewöhnlichen Männer w a ren. Wie hatte ihr das entgehen können? Doch als sie hö r te, daß Raigos Liebesnacht mit ihr nur zu seinem Plan gehört hatte, ließ ihr verlet z ter Stolz ihre Wut überschäumen.
Fauchend wie eine Katze sprang sie Raigo plötzlich an, so daß dieser ihr kaum au s weichen konnte. Dann folgte Schlag auf Schlag, und Raigo geriet in arge Bedrängnis. Eja war wir k lich eine gute Kämpferin, aber sie hatte ihre Kraft überschätzt. Stets hatte sie ihren Zauber zu Hilfe
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