Der goldene Greif
Mynthar hatte unmittelbare Rückkehr befohlen. Aber hatte er nicht auch die Pflicht, Vangor vom Tod seiner Moradin zu unterrichten? Und C o riane? Durfte er sie noch länger in Ungewißheit lassen?
Raigos Herz war schwer, und er wußte sich keinen Rat. Er konnte Argin nicht noch einmal zu Vangor senden, denn der Vogel war hier in der Wildnis seine einzige Möglichkeit an Na h rung zu kommen, da die gesamte Ausrüstung in Cygon zurückgeblieben war. Auch ein U m weg über Imaran war ausgeschlossen, denn der Gott würde wegen der Verzögerung zürnen. Wie leicht konnte er auch in den Kriegswi r ren um die kostbare Statue gebracht werden!
Nur widerstrebend beschloß er schließlich, zuerst zu den Wyranen zurückzukehren. We h mut erfüllte sein Herz, als er an den Abend des großen Festes dachte, und der herrliche Klang ihrer Lieder zog durch seine Seele. Damals hatte die Aussicht auf ein Wiedersehen mit den Gefährten ihn in frohe E r wartung versetzt. Und nun?
Obwohl die Nähe Cygons eine Gefahr darstellte, beschloß er schließlich, erst am nächsten Morgen aufzubrechen. Ahath brauchte nach dem mörderischen Rennen dringend Ruhe, und auch er selbst mußte sich eingestehen, daß er einem vollen Tagesritt wohl noch nicht g e wachsen war. Ein kleiner Funke schwelte noch unter der Asche seiner Hoffnung, daß vie l leicht doch einer der Moradin entronnen sei. Dann würde der Flüchtling auf jeden Fall zur Furt kommen.
Während Ahath am Randes des Waldes den Schnee vom Gras scharrte, um an Futter zu kommen, sammelte Raigo unter den Bäumen trockenes Laub, das er am Feuer zu einem Lager aufschichtete. Sein ermatteter Körper brauchte Ruhe, und der Schlaf würde auch se i nem gemarterten Geist guttun, in dem immer noch der Schr e cken Thorakors brannte. So warf er noch eine Menge Holz aufs Feuer und legte sich dann auf das Laub nieder, fest in seinen Umhang gehüllt. Handur lag neben ihm und würde ihn warnen, wenn Gefahr drohte.
Es begann schon zu dunkeln, als Argins Schrei ihn weckte. Der Adler war zurüc k gekehrt und hatte einen Fasan mitgebracht. Immer noch fühlte Raigo sich zerschl a gen und müde, und so legte er sich kurz nach seiner Mahlzeit wieder nieder.
Da wurde sein Blick von den goldenen Reflexen eingefangen, die das Feuer auf der Statue des Greifen aufblitzen ließ. Raigo war viel zu sehr von seiner Trauer und se i ner Erschöpfung abgelenkt gewesen, um sich näher mit dem Ding zu beschäftigen, das ja eigentlich der Grund für alle Plagen und Mühen der letzten Jahre gewesen war. Doch nun wollte er es g e nau ansehen.
Er ging hinüber und löste die Statue vom Sattel, an den die Gefährten sie festgebunden ha t ten und der immer noch da lag, wo Ahath in abgestreift hatte. Raigo ließ sich wieder am Feuer nieder, die schw e re Statue auf den Knien, und betrachtete sie.
Sie war etwa fünf Handbreiten hoch, und Raigo erstaunte über ihre Schönheit. Die Statue konnte nicht aus massivem Gold sein, dazu war sie zu leicht. Raigo nahm an, daß ihr Kern aus dem gleichen Stein gehauen war wie die kleinen Figuren, die er in den Höhlen der W y ranen gesehen hatte. Dieser Stein war weich und porös, daher leicht und ließ sich wunde r bar bearbeiten. Die Statue stellte einen sitzenden Greif dar. Der dicke Goldüberzug war mit feinen Einlegearbeiten versehen, die jede Einzelheit des Gefieders in glänzendem Achat wi e dergaben. Die Klauen und der Schnabel bestanden aus feinem, rauchigem Bernstein. Die Augen waren gelbe T o pase, in deren Mitte die schwarze Pupille aus Achat eingesetzt war. Auch die Fied e rung des um die Hintertatzen gelegten Schweifs an seinem Ende war aus dü n nen Achatplättchen in sorgfältiger Genauigkeit ausgeführt.
So naturgetreu war das Aussehen der Skulptur, daß Raigo sofort an Phägor denken mußte. Und da - wie aus weiter Ferne, schwach und doch klar, drangen Phägors Worte in seinen Geist:
,Schlaf jetzt, Raigo! Ich wache über dich. Schlaf jetzt, und alles wird gut werden.’
Die Worte des wunderbaren Freundes erfüllten Raigo mit Ruhe und waren Balsam für seine wunde Seele. Der Schrecken des Dämonen verblaßte. Raigo stellte die St a tue neben sich auf den Boden und war Minuten später eingeschlafen.
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Mit grimmigen Gesichtern blickten die fünf Männer ihren Feinden entgegen. Die Hoffnung s losigkeit ihrer Lage hatte
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