Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der goldene Kelch

Der goldene Kelch

Titel: Der goldene Kelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eloise Jarvis McGraw
Vom Netzwerk:
gewogen; das weiß ich auch!“
    „Was du nicht sagst!“, wiederholte Gebu, nun aber in verändertem Tonfall. Er richtete sich langsam wieder auf und reckte seine breiten Schultern. Sein forschender Blick wanderte so langsam und so abschätzig über den Jungen, dass sich Ranofer unweigerlich aller Makel seiner schmächtigen und wenig einnehmenden Erscheinung bewusst wurde: die hervorstehenden Rippen, die mageren Arme, die knochigen Knie, der staubige Schendjti, der ihm wie immer schief um die Hüften hing. Als Gebu seinen Blick schließlich abwandte, fühlte sich Ranofer nichtswürdiger als eine Wanze. „Und was hat das alles mit mir zu tun?“, fragte Gebu. „Es… Es… Ich wollte dir nur sagen, dass der Goldschmied Verdacht schöpft. Ich traue mich nicht mehr, die Weinschläuche hierher zu bringen, denn – “
    „Du elender Wicht!“ Mit harter Hand schlug Gebu seinen Halbbruder rechts und links ins Gesicht. Für Gebus Verhältnisse war der Schlag fast lässig, aber er hatte so viel Kraft, dass Ranofer sich das Genick verrenkte; seine Ohren klingelten. „Ich weiß nichts von diesem Gold – und wenn, wärst du gut beraten, es nicht weiterzusagen! In den Weinschläuchen ist nur Dattelwein; du wirst sie weiterhin hierher bringen wie früher auch!“
    „Nein, das werde ich nicht!“, rief Ranofer verzweifelt aus. Er hatte versagt. Alles war schief gegangen! Gebu fühlte sich nicht mehr bedroht, er empfand nur noch Verachtung für Ranofer. „Das werde ich nicht!“, sagte Ranofer noch einmal.
    „Doch, du wirst!“ Gebu lächelte verächtlich, sein Lid zuckte. „Bist du so dumm, oder tust du nur so? Ich weiß nichts von diesem gestohlenen Gold. Niemand kann das Gegenteil beweisen. Aber wenn du unbedingt in Teufels Küche kommen willst, dann geh nur zu Rekh und sag ihm alles.“
    „Ich? In Teufels Küche?“ Ranofer starrte ihn verdutzt an. Doch plötzlich wurde ihm klar, was Gebu meinte; plötzlich wusste er, warum sich Gebu nicht mehr aufregte und warum es völlig sinnlos war, mit Rekh zu sprechen. Eiskalt lief es ihm den Rücken hinunter. Gebu würde einfach abstreiten, dass er etwas mit dem gestohlenen Gold zu tun hätte, er würde behaupten, dass er den Babylonier nicht kannte, dass er von irgendwelchen Weinschläuchen und was sie angeblich enthielten, nichts wüsste. Gebu konnte sehr überzeugend sein, wenn er wollte. Er würde einfach mit den Achseln zucken und über die Verderbtheit der Jugend den Kopf schütteln. Und er würde Ranofer als Dieb ausliefern. Wer würde ihn dann in Schutz nehmen? Ibni ganz bestimmt nicht – Ibni würde ihn nur noch mehr anschwärzen. Von Rekh könnte er auch nichts erwarten – Rekh wäre zutiefst gekränkt und würde ihn verachten. Niemand außer Ranofer würde die Wahrheit sagen, aber niemand würde ihm glauben.
    Er war geschlagen. Mit hängendem Kopf drehte er sich um und ging zur Vorratskammer. Doch Gebu pfiff ihn sofort zurück:
    „Wohin willst du, du Schweinehund? Ich bin noch nicht fertig mit dir!“
    „I-ich wollte mein Brot holen. Ich bin hungrig.“
    „Dein Brot? Seit wann ist das dein Brot? Bei Amun, du trägst deine Nase in letzter Zeit ziemlich hoch. Wofür hältst du dich eigentlich? Für einen Pharao? Ich habe dich aus der Gosse geholt! Aus der Gosse! Vergiss das niemals! Wo wärst du denn jetzt, wenn ich dir nicht aus reiner Herzensgüte Essen und ein Dach über dem Kopf gegeben hätte? Wo, hä? Auf der Straße müsstest du schlafen, jawohl! Und mit den Hunden müsstest du dich um Abfälle streiten. Stattdessen lebst du aber sehr bequem von meinem Brot!“
    „Es ist auch mein Brot. Ich verdiene fünf Deben im Monat, und die gebe ich dir!“
    Gebu kräuselte seine dicke Oberlippe. „Fünf Deben! Das ist ja ein Vermögen!“
    „Mehr bekommt ein Gehilfe eben nicht!“ Ranofer kämpfte gegen die Tränen an. Ohne große Hoffnung auf Erfolg stimmte er die alte Leier an: „Ich könnte mehr verdienen, sehr viel mehr sogar, wenn ich etwas lernen dürfte, wenn ich zur Schule gehen dürfte, Meister werden – “
    „Hört, hört, unser Prinzchen! Was glaubst du eigentlich, dass Schüler verdienen?“, höhnte Gebu. „Nichts! Sie müssen im Gegenteil für ihre Ausbildung bezahlen. Und wer würde für dich bezahlen, du erbärmliches Balg? Du hast keinen Vater und kein Elternhaus!“ Gebus Worte schnitten wie Peitschenhiebe in Ranofers Seele. Er senkte den Blick. „Dann eben Lehrjunge. Ich könnte bei Rekh in die Lehre gehen“, sagte er leise. „Pass

Weitere Kostenlose Bücher