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Der goldene Kelch

Der goldene Kelch

Titel: Der goldene Kelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eloise Jarvis McGraw
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in das vierte Loch gefüllt hatte und zur Seite wich, stand auch schon Pai neben ihm.
    „Fertig? Komm mit! Djahotep braucht dich nicht mehr. Los, los, hier lang, trödle nicht rum! Ich habe schließlich auch noch was anderes zu tun! Da, der Granitblock da drüben muss poliert werden. Morgen will ich den Stein nicht mehr hier sehen. Neber!“
    Pai entfuhr das letzte Wort mit solch einem donnernden Gebrüll, dass Ranofer irritiert stehen blieb. Er fragte sich, ob das wohl ein Befehl war, den er verstehen und befolgen sollte. Aber Pai schlug ihm schon so hart mit dem Stock auf den Fußknöchel, dass ein roter Fleck blieb. Mit einem zornigen „Trödle nicht!“, eilte der Vorarbeiter weiter, Ranofer hastete ihm nach. Das Gebrüll hatte offenbar einem schlaksigen Jungen namens Neber gegolten, der nun von der anderen Seite des Schuppens angerannt kam. Er hatte sie gerade erreicht, da blieb Pai neben einem Granitblock stehen und deutete mit seinem knochigen Finger auf den Stein. Neber war offenbar auch Lehrjunge. Er war ein oder zwei Jahre älter und einen Kopf größer als Ranofer. In seinem Gesicht spiegelten sich Gleichmut und Verdrossenheit. Pai gab den beiden Jungen rechteckige Sandsteinbrocken und befahl ihnen brüllend, was sie zu tun hatten. Sie stiegen auf den Granitblock, knieten sich einander gegenüber und polierten den Quader mit Sandstein, wie Ranofer es am Morgen bei den beiden Männern gesehen hatte; es entstand das gleiche schrille Schmirgelgeräusch, das Ranofer durch Mark und Bein ging. Pai sah ihnen eine Weile mit mürrisch zusammengepressten Lippen und misstrauisch zusammengekniffenen Augen zu, fand aber offenbar nichts zu kritisieren und wandte sich ab. Während er davonsprang, blickte Ranofer seinem Kollegen lächelnd zu. „Das macht einen schrecklichen Lärm, nicht wahr?“ Neber sah ihn ausdruckslos an und senkte gleich wieder den Blick. Ranofer nahm noch einmal seinen Mut zusammen.
    „Bist du schon lange hier?“
    Neber richtete wieder seinen leeren, gleichgültigen Blick auf ihn. „Hier?“
    „Ja, du bist doch Lehr junge, oder? Arbeitest du schon lange hier?“
    Neber starrte ihn an, während er mechanisch weiterpolierte. „Ja, schon“, sagte er schließlich und wandte seinen Blick wieder seiner Arbeit zu.
    Ranofer gab auf. Je länger er mit seinem griesgrämigen Kollegen diese öde Arbeit verrichtete, desto mehr überkam ihn der Wunsch, den Sandsteinbrocken zu heben und krachend auf Nebers Schädel zu schlagen. Er dachte an Heqet und konnte die Tränen kaum zurückhalten. In den folgenden Tagen lernte Ranofer eine Menge über das Steinmetzhandwerk. Er lernte auch, dass Polieren noch monotoner und weitaus anstrengender war als Bohrsand in Löcher zu schütten. Dass das Behauen von Rohlingen mit Hammer und Meißel die anstrengendste Arbeit war, erfuhr er am dritten Tag; sie war zwar nicht ganz so langweilig, aber dafür viel gefährlicher als die anderen beiden Aufgaben. Er merkte auch, dass er Fehler machte, wenn er müde wurde; und wenn er Fehler machte, stürzte sich Pai wie ein oberägyptischer Leopard auf ihn, ließ Flüche auf ihn prasseln und schlug ihn blind mit dem Stock auf seinen ohnehin schon schmerzenden Rücken. Die Angst lehrte ihn, sich unablässig auf seine Arbeit zu konzentrieren – nicht nur wegen Pais Wutausbrüchen, sondern wegen der schmerzhaften Schrammen und Schnitte, die er seinen Hände bei der kleinsten Unaufmerksamkeit zufügte. Ständig hatte er Djahoteps verstümmelte Hände vor Augen wie ein böses Omen. Seine schmalen Schultern und mageren Arme waren entweder wie taub oder sie brannten von der ungewohnten Arbeit, und seine Gedanken waren in einem Kerker der Ödnis gefangen; vor allem aber lernte er das Steinmetzhandwerk mit derselben glühenden Leidenschaft hassen, wie er die Goldschmiedekunst liebte. Gebu kam jeden Tag in die Werkstatt, manchmal am Vormittag, meist jedoch um die Mittagsstunde, wenn die Arbeit für einige Zeit stillstand und sich eine gesegnete Stille auf den Schuppen senkte. Manche aßen während der Pause, was sie sich von zu Hause mitgebracht hatten, andere lagen auf dem rauen Boden, plauderten oder hielten ein Schläfchen. Der alte Djahotep und die beiden Fertigbearbeiter gingen immer in die Schänke an der Ecke, um sich zu stärken. Ranofer hatte kein Essen, das er hätte mitbringen können, er hatte kein Geld für Wein und er hatte keinen Freund zum Reden. In den ersten Tagen tat ihm außerdem alles weh und er war viel zu erschöpft,

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