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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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du?«
    »Elf.«
    »Sehr gut. Also Lizzie, du hast wirklich Glück gehabt. An einen besseren Ort hätten die Jäger, die dich gefunden haben, dich gar nicht bringen können.«
    »Sie haben mich überhaupt nicht gefunden«, sagte sie argwöhnisch. »Wir mußten kämpfen. Sie waren in der Überzahl und schössen mit Pfeilen…«
    »Nein, das glaube ich nicht. Du hast dich sicher verirrt, weil du zu weit von den Leuten deines Vaters weggelaufen bist. Du warst mutterseelenallein, als die Jäger dich fanden, und sie haben dich auf dem schnellsten Weg hierher gebracht. So und nicht anders ist es gewesen, Lizzie.«
    »Ich habe aber gesehen, wie sie gekämpft haben«, sagte Lyra. »Sie haben mit Pfeilen geschossen und… Ich will zu meinem Papa.« Sie wurde lauter und merkte, daß sie zu weinen anfing.
    »Hier kann dir nichts passieren, bis er kommt«, sagte der Arzt.
    »Aber ich habe doch gesehen, daß sie mit Pfeilen geschossen haben!«
    »Das hast du dir bloß eingebildet. So etwas passiert in der eisigen Kälte oft, Lizzie. Man schläft ein und träumt schlecht, und hinterher weiß man nicht mehr, was wirklich passiert ist. Es gab keinen Kampf, sei ganz beruhigt. Dein Vater ist gesund und munter, und er sucht dich bestimmt schon und wird bald hier sein, denn das ist der einzige bewohnte Ort im Umkreis von Hunderten von Meilen. Und was glaubst du, wie überrascht er sein wird, wenn er dich hier wohlbehalten antrifft! Jetzt bringt Schwester Clara dich in den Schlafsaal, wo du noch andere kleine Mädchen und Jungen kennenlernen wirst, die sich genau wie du in der Wildnis verirrt haben. Also, ins Bett mit dir. Morgen früh unterhalten wir uns weiter.«
    Lyra stand auf, die Puppe fest in der Hand. Pantalaimon hüpfte ihr auf die Schulter, und die Schwester öffnete die Tür und führte sie hinaus.
    Wieder gingen sie durch Gänge. Lyra war todmüde, so müde, daß sie ununterbrochen gähnen mußte und kaum noch die Füße in den Wollpantoffeln, die man ihr gegeben hatte, heben konnte. Pantalaimon war so erschöpft, daß er sich in eine Maus verwandelte und in die Tasche ihres Bademantels kroch. Undeutlich nahm Lyra eine Reihe von Betten, Kindergesichter und ein Kopfkissen wahr, und dann war sie auch schon eingeschlafen.
    Jemand rüttelte sie. Als erstes faßte sie sich an die Taille — beide Dosen waren noch da, gut verpackt. Dann versuchte sie, die Augen zu öffnen, aber es fiel ihr unendlich schwer; noch nie war sie so schläfrig gewesen.
    »Wach auf! Wach auf!«
    Das Flüstern kam von verschiedenen Stimmen. Mit ungeheurer Anstrengung, als müßte sie einen Felsblock einen Berg hinaufschieben, zwang Lyra sich dazu, aufzuwachen.
    Im Dämmerschein einer anbarischen Funzel über der Tür sah sie drei Mädchen vor ihrem Bett stehen. Sie konnte nicht viel erkennen, denn sie sah alles unscharf, aber die Mädchen schienen ungefähr in ihrem Alter zu sein und sprachen Englisch.
    »Sie ist wach.«
    »Die haben ihr Schlaftabletten gegeben, ganz bestimmt…«
    »Wie heißt du?«
    »Lizzie«, murmelte Lyra schlaftrunken.
    »Ist wieder eine neue Ladung Kinder gekommen?« fragte eins der Mädchen.
    »Keine Ahnung. Nur ich.«
    »Woher haben sie dich denn dann?«
    Lyra versuchte, sich aufzusetzen. Sie konnte sich nicht erinnern, eine Schlaftablette genommen zu haben, aber vielleicht war in ihrem Getränk eine gewesen. Ihr Kopf fühlte sich wie Watte an, und hinter den Augen spürte sie einen schwachen, pochenden Schmerz.
    »Wo sind wir?«
    »Mitten im Nirgendwo. Sie sagen es uns nicht.«
    »Meistens werden mehrere Kinder auf einmal hergebracht…«
    Lyra brauchte eine Weile, bis sie ihre betäubten Sinne wieder halbwegs beisammen hatte. Neben ihr begann sich Pantalaimon zu regen. »Was passiert mit ihnen?« fragte sie schließlich.
    »Keine Ahnung«, sagte das Mädchen, das die meiste Zeit sprach. Es war groß, hatte rote Haare und einen ausgeprägten Londoner Akzent. Nervös gestikulierte es mit den Händen. »Sie machen irgendwelche Messungen mit uns und untersuchen uns und dann…«
    »Sie messen Staub«, sagte ein nett aussehendes, dickes Mädchen mit dunklen Haaren.
    »Das weißt du doch gar nicht«, sagte das erste Mädchen.
    »Doch«, sagte das dritte, ein verschüchtert wirkendes Kind, und drückte seinen Kaninchendæmon an sich. »Ich habe sie davon sprechen hören.«
    »Und dann bringen sie uns der Reihe nach weg«, sagte die Rothaarige. »Das ist alles, was wir wissen. Keiner kommt zurück.«
    »Aber der eine Junge glaubt…«,

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