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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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kontrollierte die Schwester ihre Temperatur und inspizierte Augen, Ohren und Hals. Anschließend maß sie noch Lyras Größe und stellte sie auf eine Waage und notierte dann etwas auf einem Klemmbrett. Dann gab sie Lyra einen Schlafanzug und einen Bademantel. Beides war sauber und von guter Qualität wie der Anorak von Tony Makarios, wirkte aber ebenfalls gebraucht. Lyra war sehr unbehaglich zumute.
    »Das sind nicht meine Sachen«, sagte sie.
    »Nein, Schatz. Deine Kleider müssen erst einmal gründlich gewaschen werden.«
    »Bekomme ich sie wieder?«
    »Ich denke doch. Ja, natürlich.«
    »Wo sind wir hier?«
    »In der sogenannten Versuchsstation.«
    Das war keine richtige Antwort, und Lyra wollte es schon sagen und weitere Fragen stellen, doch da fiel ihr ein, daß Lizzie Brooks das bestimmt nicht tun würde. Also nahm sie die Antwort schweigend hin und schlüpfte ergeben in die neuen Kleider.
    »Ich will mein Spielzeug wiederhaben«, sagte sie trotzig, als sie angezogen war.
    »Nimm es dir, Schatz«, sagte die Schwester. »Hättest du denn nicht lieber einen schönen Teddybären? Oder eine hübsche Puppe?«
    Sie zog eine Schublade auf, in der ein paar Spielsachen lagen — leblose Gegenstände. Lyra überwand sich und tat, als würde sie einen Moment überlegen, dann suchte sie sich eine Stoffpuppe mit großen, leeren Augen aus. Sie hatte nie gern mit Puppen gespielt, wußte aber, was von ihr erwartet wurde, und drückte sie geistesabwesend an die Brust.
    »Und mein Geldbeutel?« fragte sie. »Ich möchte mein Spielzeug hineintun.«
    »Nimm ihn dir, Schatz«, sagte Schwester Clara, die gerade ein rosafarbenes Formular ausfüllte.
    Lyra zog den ungewohnten Schlafanzug hoch und band sich den Beutel aus Ölzeug um die Taille.
    »Und mein Anorak und meine Stiefel?« fragte sie. »Und meine Handschuhe und die anderen Sachen?«
    »Wir waschen sie für dich«, sagte die Schwester zerstreut.
    Ein Telefon summte, und als die Schwester den Hörer abnahm, bückte sich Lyra schnell, griff nach der Dose, in der sich der fliegende Spion befand, und stopfte sie zum Alethiometer in den Beutel.
    »Komm mit, Lizzie«, sagte die Schwester und legte den Hörer auf. »Wir besorgen dir jetzt etwas zu essen. Du hast doch bestimmt Hunger.«
    Lyra folgte Schwester Clara zur Kantine, in der ein Dutzend runde weiße Tische standen, alle mit Krümeln übersät und voller klebriger Ringe von achtlos hingestellten Gläsern. Auf einem Teewagen stapelte sich schmutziges Geschirr. Der Raum hatte keine Fenster, statt dessen war, um Licht und Weite vorzutäuschen, eine Wand mit dem riesigen Photogramm eines tropischen Strandes mit strahlend blauem Himmel, weißem Sand und Kokospalmen bedeckt.
    Der Mann, der sie ins Haus geführt hatte, nahm ein volles Tablett aus der Durchreiche.
    »Iß«, forderte er Lyra auf.
    Es gab keinen Grund zu hungern, deshalb ließ sie sich den Eintopf mit Kartoffelbrei schmecken. Zum Nachtisch gab es Pfirsiche aus der Dose und Eis. Während sie aß, unterhielten sich der Mann und die Schwester leise an einem anderen Tisch, und als sie fertig war, brachte ihr die Schwester ein Glas warme Milch und nahm das Tablett fort.
    Der Mann setzte sich ihr gegenüber. Sein Dæmon, das Murmeltier, war nicht so desinteressiert und gleichgültig wie der Hund der Schwester, sondern saß höflich auf der Schulter des Mannes, beobachtete Lyra und hörte zu.
    »So, Lizzie«, sagte der Mann. »Bist du satt geworden?«
    »Ja, danke.«
    »Dann erzähle mir jetzt doch, woher du kommst. Kannst du das?«
    »Aus London«, sagte sie.
    »Und was suchst du so hoch im Norden?«
    »Ich bin mit meinem Vater hergekommen«, murmelte sie. Sie sah nach unten, um nicht dem forschenden Blick des Murmeltiers zu begegnen, und versuchte so zu wirken, als sei sie den Tränen nahe.
    »Mit deinem Vater? Verstehe. Und was macht er in diesem Teil der Welt?«
    »Er ist Händler. Wir sind mit einer Ladung Tabak aus Neudänemark gekommen und wollten Felle kaufen.«
    »War dein Vater allein?«
    »Nein, meine Onkel waren auch dabei, und noch andere Männer«, sagte sie unbestimmt, weil sie nicht wußte, was die samojedischen Jäger ihm erzählt hatten.
    »Wieso hat er dich auf eine solche Reise mitgenommen, Lizzie?«
    »Weil… Vor zwei Jahren hat er meinen Bruder mitgenommen und mir versprochen, daß er mich beim nächsten Mal mitnimmt. Dann hat er es doch nicht gemacht. Also habe ich immer wieder gefragt, bis er es endlich getan hat.«
    »Und wie alt bist

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