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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Mauern und war über und über mit kriegerischen Darstellungen bedeckt, mit Bären in Siegerpose und unterworfenen Skrälingen, mit Tataren in Ketten, die als Sklaven in den Feuerminen arbeiteten, und mit aus aller Welt eintreffenden Zeppelinen, die Geschenke und Tributzahlungen zum König der Bären brachten, zu Iofur Raknison. — Zumindest erklärte der Bärenfeldwebel die Aussage der Reliefs so. Lyra mußte ihm glauben, denn auf jedem Vorsprung und Sims der behauenen Fassade hockten krächzend und kreischend Raubmöwen und Tölpel, und weitere Vögel kreisten ständig über ihnen, und ihre Exkremente bedeckten das Gebäude über und über mit einer dicken, schmutzigweißen Schicht.
    Die Bären schienen den Dreck freilich gar nicht zu sehen und gingen Lyra voraus über den vereisten, ebenfalls mit Vogelkot verdreckten Boden durch einen riesigen Torbogen. Dahinter folgten ein Hof, steile Treppen und weitere Tore, und überall waren Bären in Rüstungen postiert, die die Ankömmlinge anhielten und nach der Parole fragten. Ihre Panzer waren poliert und glänzten, und alle hatten Federbüsche auf ihren Helmen. Unwillkürlich verglich Lyra jeden Bär, den sie sah, mit Iorek Byrnison, und der Vergleich fiel immer zu seinen Gunsten aus. Er war stärker und geschmeidiger, und seine Rüstung war eine wirkliche Rüstung, befleckt mit Rost und Blut und vom Kampf eingedellt, nicht gepflegt und dekorativ bemalt wie die meisten, die sie hier sah.
    Je weiter sie gingen, desto wärmer wurde es, und noch etwas anderes nahm zu. In Iofurs Palast stank es erbärmlich nach ranzigem Seehundfett, Blut und allen möglichen Abfällen. Lyra schob die Kapuze zurück, um sich Kühlung zu verschaffen, und rümpfte unwillkürlich die Nase. Sie hoffte nur, daß Bären die menschliche Mimik nicht lesen konnten. Alle paar Meter steckte in einem eisernen Halter eine Tranlampe, in deren flakkerndem Licht man nicht immer sah, wohin man trat.
    Schließlich blieben sie vor einer schweren Eisentür stehen. Eine Wache schob einen massiven Riegel zurück, und der Feldwebel versetzte Lyra mit dem Kopf einen so plötzlichen Stoß, daß sie vornüber durch die Tür stolperte. Bevor sie sich aufrappeln konnte, hörte sie, wie die Tür hinter ihr verriegelt wurde.
    Es war stockdunkel, aber Pantalaimon verwandelte sich in ein Glühwürmchen und verbreitete einen schwachen Schein. Sie befanden sich in einer engen Zelle mit Wänden, von denen das Wasser tropfte. Das einzige Möbelstück war eine Steinbank, und in der Ecke gegenüber lag ein Haufen Lumpen, die offensichtlich das Bett darstellten. Mehr konnte Lyra nicht sehen.
    Mit Pantalaimon auf der Schulter setzte sie sich und tastete in ihren Kleidern nach dem Alethiometer.
    »Es hat ganz schön viele Stöße abbekommen, Pan«, flüsterte sie. »Hoffentlich funktioniert es noch.«
    Pantalaimon flog auf ihr Handgelenk, um dort zu leuchten, während Lyra versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. In einer entfernten Ecke ihres Bewußtseins wunderte sie sich, wie sie hier inmitten der schrecklichsten Gefahr so ruhig dasitzen und sich auf das Alethiometer konzentrieren konnte; und doch war das Lesen des Alethiometers inzwischen so sehr ein Teil von ihr geworden, daß die kompliziertesten Fragen sich wie von selbst in die ihnen zugeordneten Symbole auflösten; ein Vorgang, der beinahe so natürlich war, wie Lyras Muskeln ihre Glieder bewegten. Sie brauchte kaum darüber nachzudenken.
    Sie drehte die Zeiger und formulierte in Gedanken die Frage: »Wo ist Iorek?«
    Die Antwort ließ nicht auf sich warten: »Eine Tagesreise entfernt. Der Ballon brachte ihn nach eurem Zusammenstoß dorthin, aber er ist bereits auf dem Weg hierher.«
    »Und Roger?«
    »Ist bei ihm.«
    »Was hat Iorek vor?«
    »Er will in den Palast eindringen und dich trotz aller Schwierigkeiten befreien.«
    Lyra verstaute das Alethiometer wieder. Sie hatte jetzt noch mehr Angst als zuvor.
    »Sie werden ihn nicht hereinlassen«, sagte sie. »Sie sind in der Überzahl. Ich wünschte, ich wäre eine Hexe, Pan, dann könntest du wegfliegen, ihn suchen und ihm eine Botschaft überbringen und so weiter, und wir könnten uns einen Plan ausdenken…« Dann erschrak sie, wie sie noch nie erschrocken war.
    Aus dem Dunkel ertönte, nur wenige Meter von ihr entfernt, die Stimme eines Mannes. »Wer ist da?«
    Mit einem entsetzten Schrei sprang Lyra auf. Pantalaimon verwandelte sich augenblicklich in eine Fledermaus und flog kreischend um ihren Kopf, während sie zur Wand

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