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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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zurückwich.
    »Hm? Hm?« sagte der Mann wieder. »Wer ist da? Sag doch! Raus mit der Sprache!«
    »Sei wieder ein Glühwürmchen, Pan«, flüsterte Lyra mit zittriger Stimme. »Aber fliege nicht zu dicht ran.«
    Ein kleiner, flimmernder Lichtpunkt tanzte durch das Dunkel und umkreiste den Kopf des Sprechers. Was Lyra gesehen hatte, war kein Lumpenhaufen, sondern ein graubärtiger, an die Wand geketteter Mann mit wirren, schulterlangen Haaren, dessen Augen in Pantalaimons Schein glänzten. Sein Dæmon, eine trübe dreinblickende Schlange, lag in seinem Schoß; nur ihre Zunge schoß ab und zu heraus, wenn Pantalaimon in ihre Nähe kam.
    »Wie heißen Sie?« fragte Lyra.
    »Jotham Santelia«, erwiderte er. » Ich bin Regius-Professor für Kosmologie an der Universität Gloucester. Und du?«
    »Lyra Belacqua. Weshalb hat man Sie hier eingesperrt?«
    »Aus Bosheit und Eifersucht… Wo kommst du denn her? Hm?«
    »Aus Jordan College«, sagte Lyra.
    »Was? Aus Oxford?«
    »Ja.«
    »Ist dieser Schurke Trelawney immer noch dort, hm?« »Der Palmer-Professor? Ja.«
    »Tatsächlich, bei Gott! Hm? Man hätte ihn schon längst zum Rücktritt zwingen sollen. Den miesen Plagiator! Den dreisten Narr!«
    Lyra murmelte etwas Unbestimmtes.
    »Hat er seinen Artikel über die Gammastrahlen-Photonen schon veröffentlicht?« Das Gesicht des Professors befand sich auf einmal dicht unter dem Lyras, und sie wich zurück.
    »Keine Ahnung«, sagte sie, und dann fuhr sie aus reiner Gewohnheit fort: »Nein, jetzt erinnere ich mich. Er sagte, er müsse noch einige Zahlen überprüfen. Und… er sagte, er würde auch über Staub schreiben, genau.«
    »Schurke! Dieb! Erpresser! Gauner!« rief der alte Mann und zitterte so heftig, daß Lyra schon fürchtete, er könnte einen Anfall haben. Sein Dæmon glitt träge von seinem Schoß, als der Professor begann, sich mit den Fäusten auf die Schenkel zu schlagen. Speicheltropfen flogen ihm aus dem Mund.
    »Ja«, sagte Lyra, »ich habe ihn auch immer für einen Dieb gehalten. Und einen Gauner und alles andere.«
    Wie unwahrscheinlich es war, daß ein schmutzstarrendes kleines Mädchen in seiner Zelle auftauchen und seinen Intimfeind kennen sollte, fiel dem Regius-Professor gar nicht auf. Er war verrückt, der Arme, kein Wunder, aber vielleicht, so hoffte Lyra, konnte er ihr trotzdem mit einigen nützlichen Informationen weiterhelfen. Sie setzte sich vorsichtig in seine Nähe, nicht so nah, daß er sie berühren konnte, aber nah genug, daß sie ihn deutlich sah, wenn Pantalaimon leuchtete.
    »Professor Trelawney«, sagte sie, »hat immer besonders gern damit angegeben, wie gut er den König der Bären kennt…«
    »Angegeben! Hm? Hm? Das will ich meinen! Der eitle Geck! Und Pirat! Von wegen eigene Forschung! Alles von größeren Geistern geklaut!«
    »Tja, stimmt«, gab Lyra ernsthaft zu. »Und wenn er mal selbst was tut, macht er alles verkehrt!«
    »Ja! Ja! Absolut! Kein Talent, keine Phantasie, ein Schwindler von Kopf bis Fuß!«
    »Ich wette zum Beispiel«, sagte Lyra, »daß Sie viel mehr über Bären wissen als er.«
    »Bären«, sagte der Alte, »ha! Darüber könnte ich Bücher schreiben! Deshalb haben sie mich doch hier eingesperrt!«
    »Ach ja?«
    »Ich weiß zuviel über sie, und sie trauen sich nicht, mich umzubringen. Trauen sich nicht, auch wenn sie gerne wollten. Das weiß ich genau. Ich habe Freunde, ja! Mächtige Freunde.«
    »Ach so«, sagte Lyra. »Und ich wette, Sie sind ein ausgezeichneter Lehrer, bei so viel Wissen und Erfahrung.«
    Sogar in den Abgründen seiner Verrücktheit schlummerte noch ein kleiner Rest gesunder Menschenverstand, und er sah sie scharf an, fast als argwöhne er Ironie. Aber Lyra hatte ihr ganzes Leben mit mißtrauischen und verschrobenen Wissenschaftlern zugebracht, und sie starrte ihn mit einer solch unschuldigen Bewunderung an, daß er besänftigt war.
    »Lehrer«, sagte er, »Lehrer…Ja, ich könnte unterrichten. Verschaffe mir den richtigen Schüler, und ich setze seine Gedanken in Brand!«
    »Ihr Wissen darf schließlich nicht einfach verlorengehen«, sagte Lyra ermutigend. »Es muß weitergegeben werden, damit die Menschen sich an Sie erinnern.«
    »Ja«, sagte er und nickte ernst. »Ein kluger Gedanke, Kind. Wie heißt du?«
    »Lyra«, sagte sie noch einmal. »Könnten Sie mich nicht über die Bären unterrichten?«
    »Die Bären…«, sagte er zweifelnd.
    »Ich wüßte wirklich gern mehr über Kosmologie und Staub und all das, aber dazu bin ich nicht

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