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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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wollen, hm? Die Situation wird sich hochschaukeln, und das wird schon bald zum Zusammenbruch führen, das weiß ich aus verläßlicher Quelle.«
    »Wirklich?« Lyra war mit ihren Gedanken anderswo gewesen und versuchte sich zu erinnern, was er gesagt hatte.
    »Ja. Mein Dæmon kann mit seiner Zunge schmecken, was wahrscheinlich ist.«
    »Meiner auch. Wann bekommen wir zu essen, Professor?«
    »Zu essen?«
    »Sie müssen uns doch ab und zu etwas bringen, sonst würden wir verhungern. Und auf dem Boden liegen Knochen, wahrscheinlich von Seehunden, oder?«
    »Seehunde… ich weiß nicht. Vielleicht.«
    Lyra stand auf und tastete sich zur Tür. Natürlich hatte die Tür keinen Griff und auch kein Schlüsselloch, und sie schloß unten und oben so dicht, daß kein Licht durchschien. Lyra preßte ihr Ohr dagegen, aber sie hörte nichts. Hinter ihr murmelte der alte Mann etwas zu sich selbst. Sie hörte seine Kette rasseln, als er sich erschöpft auf die andere Seite legte, und bald begann er zu schnarchen.
    Sie tastete sich zur Bank zurück. Pantalaimon, der es müde war, zu leuchten, war wieder eine Fledermaus geworden, was ihn zu amüsieren schien. Leise quietschend flatterte er herum, während Lyra auf der Bank saß und an einem Fingernagel kaute. Plötzlich, ohne jede Vorwarnung, fiel ihr ein, was sie den Palmer-Professor damals im Ruhezimmer hatte sagen hören. Irgend etwas hatte in ihr rumort, seit sie von Iorek Byrnison zum erstenmal Iofurs Namen gehört hatte, und jetzt wußte sie, was es war: Am meisten, hatte der Professor gesagt, wünsche Iofur Raknison sich einen Dæmon.
    Natürlich hatte sie nicht verstanden, was er meinte; er hatte von Panserbjørne gesprochen, statt das englische Wort zu benutzen, deshalb hatte sie nicht gewußt, daß er von Bären sprach, und keine Ahnung gehabt, daß Iofur Raknison kein Mensch war. Ein Mensch hätte ja auch einen Dæmon gehabt, die Worte des Professors hatten für Lyra also keinen Sinn ergeben. Aber jetzt war es klar, und alles, was sie über den Bärenkönig gehört hatte, fügte sich zusammen: Der größte Wunsch des mächtigen Iofur Raknison war es, ein Mensch zu sein, ein Mensch mit einem eigenen Dæmon.
    Und als Lyra das verstand, wuchs in ihr ein Plan, wie sie Iofur Raknison dazu bringen konnte, etwas zu tun, das er sonst nie tun würde, wie sie Iorek Byrnison zu dem ihm zustehenden Thron verhelfen konnte und wie sie schließlich an den Ort gelangen konnte, an den man Lord Asriel verschleppt hatte, um ihm das Alethiometer zu überbringen.
    Noch schillerte die Idee unwirklich wie eine Seifenblase, und Lyra wagte nicht, sie zu genau zu betrachten, damit sie nicht zerplatzte. Aber sie war mit solchen Ideen vertraut, und so ließ sie sie schillern und sah weg und dachte an etwas anderes. Sie war fast eingeschlafen, als die Riegel klapperten und die Tür aufging. Licht fiel herein, und Lyra sprang auf. Pantalaimon hatte sie schnell noch in ihrer Tasche versteckt.
    Als der Bär, der ihnen das Essen brachte, den Kopf senkte, um die Seehundlende aufzuheben und in die Zelle zu werfen, stand Lyra neben ihm.
    »Bring mich zu Iofur Raknison«, sagte sie. »Wenn du es nicht tust, bekommst du Schwierigkeiten. Es ist dringend.«
    Der Bär ließ das Fleisch fallen und sah auf. Es war nicht leicht, die Miene eines Bären zu lesen, aber er wirkte verärgert.
    »Es geht um Iorek Byrnison«, sagte Lyra schnell. »Ich weiß etwas von ihm, das der König wissen muß.«
    »Sag mir, was es ist, und ich richte es ihm aus«, sagte der Bär.
    »Das wäre nicht richtig, denn niemand darf es wissen, bevor der König es weiß«, sagte Lyra. »Tut mir leid, ich will nicht unhöflich sein, aber es ist nun mal so, daß der König alles zuerst wissen muß.«
    Der Bär schien etwas begriffsstutzig. Jedenfalls hielt er eine Weile inne, dann warf er das Fleisch in die Zelle. »Also gut«, sagte er schließlich. »Komm mit.«
    Er ging mit ihr ins Freie, wofür sie dankbar war. Der Nebel hatte sich gelichtet, und am Himmel über dem von hohen Mauern umschlossenen Hof glitzerten Sterne. Die Wache sprach mit einem anderen Bären, der daraufhin auf Lyra zukam. »Du kannst nicht mit Iofur Raknison sprechen, wann es dir beliebt«, sagte er. »Du mußt warten, bis er mit dir sprechen will.«
    »Aber was ich ihm zu sagen habe, ist dringend«, erwiderte sie. »Es geht um Iorek Byrnison. Ich bin sicher, daß Seine Majestät es wissen will, aber ich kann es leider niemand anders sagen, verstehst du? Es wäre nicht

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