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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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gerissen und sein Fleisch den Klippenalpen vorgeworfen werden. Sein Kopf wird auf den Zinnen meines Palastes ausgestellt. Jede Erinnerung an ihn wird gelöscht. Seinen Namen auszusprechen wird mit dem Tode bestraft…«
    Er sprach noch eine Weile weiter, und dann kam wieder Iorek an die Reihe und nach ihm noch einmal Iofur. Rede und Gegenrede erfolgten nach einer festen Formel, einem getreulich befolgten Ritual. Lyra beobachtete die beiden so grundverschiedenen Bären mit gespannter Aufmerksamkeit: den geschniegelten, vor Kraft und Gesundheit strotzenden Iofur in seiner prächtigen Rüstung, eine stolze, königliche Erscheinung, und den etwas kleineren Iorek, obwohl Lyra nie gedacht hätte, daß er ihr je klein vorkommen würde, in seiner schäbigen Rüstung, dem rostigen und zerbeulten Panzer. Aber Ioreks Rüstung war seine Seele. Er hatte sie gemacht, und sie paßte ihm wie angegossen. Er war eins mit ihr, während Iofur nicht mit seiner Rüstung zufrieden war. Iofur wollte noch eine andere Seele. Er war ruhelos, während Iorek in sich ruhte.
    Lyra merkte, daß auch die Bären einen ähnlichen Vergleich anstellten. Iorek und Iofur waren mehr als nur zwei Bären. Sie standen für zwei entgegengesetzte Arten des Bärentums, für zweierlei Zukunft, zwei verschiedene Schicksale. Iofur hatte die Bären in die eine Richtung geführt, Iorek würde sie in eine andere führen, und wenn die Entscheidung für die eine Zukunft gefallen wäre, würde der Weg in die andere für immer versperrt sein.
    Allmählich ging das Kampfritual in die zweite Runde. Die beiden Bären begannen, unruhig und mit hin und her schwingenden Köpfen auf dem Schnee auf und ab zu gehen und sich langsam einander zu nähern. Die Zuschauer erstarrten, nur ihre Augen folgten ihnen. Dann sprangen die Bären mit lautem Gebrüll und inmitten einer Wolke aufgewirbelten Schnees aufeinander zu. Wie zwei große Felsmassen auf benachbarten Berggipfeln, die, durch ein Erdbeben losgerissen, mit wachsender Geschwindigkeit talwärts rollen, über Gletscherspalten hinwegfegen und Bäume zu Splittern zermalmen und zuletzt mit elementarer Wucht aufeinanderprallen und in Staub und Gesteinssplittern zerstieben: so stießen die beiden Bären aufeinander. Der Aufprall erschütterte den Boden, und gewaltig donnernd kam das Echo von den Palastmauern zurück. Die Bären zerbrachen allerdings nicht, wie Stein zerbrochen wäre. Sie fielen beide auf die Seite, und als erster erhob sich Iorek wieder. Geschmeidig sprang er auf und stürzte sich erneut auf Iofur, dessen Rüstung durch den Zusammenstoß beschädigt worden war und der den Kopf nicht mehr richtig heben konnte. Iorek versuchte, an den verwundbaren Spalt in Iofurs Hals zu kommen. Mit der Tatze fuhr er durch das weiße Fell, dann hakte er seine Krallen unter dem Rand von Iofurs Helm ein und bog ihn nach vorn.
    Iofur merkte die Gefahr und schüttelte sich fauchend, wie Lyra Iorek sich am Ufer in Trollesund hatte schütteln sehen; Fontänen von Wassertropfen waren damals hoch in die Luft gespritzt. Iorek verlor das Gleichgewicht und fiel um, und Iofur stellte sich auf die Hinterbeine; die stählernen Rückenplatten seiner Rüstung kreischten, als er sie durch schiere Körperkraft geradebog. Dann stürzte er sich wie eine Lawine auf Iorek, der immer noch am Boden lag.
    Die Wucht des Aufpralls verschlug Lyra den Atem. Sogar die Erde unter ihr bebte. Wie konnte Iorek das überstehen? Er drehte und wand sich zwar mit aller Macht und suchte nach einem festen Halt am Boden, aber er lag auf dem Rücken, und Iofur hatte sich in der Nähe seiner Kehle verbissen. Blutstropfen flogen durch die Luft, und einer landete auf Lyras Pelz. Sie preßte ihre Hand darauf wie auf ein Liebespfand.
    Dann schlug Iorek seine hinteren Tatzen in die Glieder von Iofurs Kettenhemd und riß es auf. Der ganze vordere Teil ging ab, und Iofur sprang zur Seite, um den Schaden zu begutachten, während Iorek sich wieder aufrappelte.
    Um Atem ringend standen die beiden Bären einander gegenüber. Das Kettenhemd bot keinen Schutz mehr, sondern behinderte Iofur; es hing immer noch an seinem Hinterteil fest, so daß er es um die Hinterbeine nachzog. Iorek war allerdings schlimmer dran. Er blutete heftig aus einer Wunde am Hals und keuchte schwer.
    Doch sprang er Iofur an, bevor der König sich aus dem Kettenhemd befreien konnte, warf ihn um und war mit einem Satz an der Blöße am Hals, wo er den Rand des Helmes verbogen hatte. Iofur warf ihn ab, und wieder

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