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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Wahrheit gesagt. Aber wenn Ihr mich erst als Euren Dæmon habt, könnt Ihr Euch taufen lassen, wenn Ihr wollt, denn dann kann keiner mehr etwas dagegen haben. Ihr könntet es einfach verlangen, und niemand könnte es Euch abschlagen.«
    »Ja… stimmt genau, das hat sie gesagt. Wort für Wort. Und sie hat mich getäuscht? Ich habe ihr vertraut, und sie hat mich getäuscht?«
    »Ja, das hat sie, aber das ist jetzt nicht wichtig. Entschuldigt bitte, Iofur Raknison, ich will nicht unhöflich erscheinen, aber Iorek Byrnison ist nur noch vier Stunden von hier entfernt, und vielleicht sagt Ihr besser Euren Wachen, daß sie ihn nicht angreifen sollen, wie sie es normalerweise tun würden. Wenn Ihr mit Iorek Byrnison um mich kämpfen wollt, müßt Ihr ihn in den Palast kommen lassen.«
    »Ja, natürlich…«
    »Und wenn er kommt, tue ich am besten so, als sei ich immer noch sein Dæmon. Ich könnte ja sagen, ich hätte mich verirrt oder so. Er wird mir glauben. Ich täusche ihn einfach. Werdet Ihr den anderen Bären sagen, daß ich Ioreks Dæmon bin und Euch gehöre, sobald Ihr ihn besiegt habt?«
    »Ich weiß nicht… Soll ich das tun?«
    »Ich finde, Ihr solltet noch warten. Wenn wir erst zusammen sind, Ihr und ich, können wir uns überlegen, was wir am besten tun, und uns entsprechend entscheiden. Jetzt müßt Ihr den anderen Bären erst einmal erklären, warum Ihr Euch Iorek im Zweikampf stellt, obwohl er doch geächtet ist, sonst verstehen sie das nicht. Ich meine, sie werden natürlich in jedem Fall tun, was Ihr sagt, aber wenn sie auch noch begreifen, warum sie es tun, werden sie Euch noch mehr bewundern.«
    »Ja. Was sollen wir ihnen sagen?«
    »Sagt ihnen… Sagt ihnen, Ihr hättet Iorek Byrnison zum Zweikampf herbestellt, um Eure Stellung als König für immer zu sichern; denn der Sieger solle für alle Zeiten über die Bären herrschen. Wenn sie glauben, er komme auf Euer Geheiß und nicht aus eigenem Willen, werden sie wirklich beeindruckt sein. Sie werden denken, Ihr seid imstande, ihn von weit weg hierher zu rufen. Sie werden glauben, daß Ihr alles könnt.«
    »Ja…«
    Hilflos stand der große Bär vor ihr. Lyra war wie berauscht von ihrer Macht über ihn, und wenn Pantalaimon sie nicht kräftig in die Hand gezwickt hätte, um sie an die Gefahr zu erinnern, in der sie beide nach wie vor schwebten, hätte Lyra sich womöglich noch um Kopf und Kragen geredet.
    Aber sie kam zu sich und hielt sich bescheiden im Hintergrund, während die Bären nach Iofurs aufgeregten Anweisungen den Ort für den Zweikampf mit Iorek Byrnison absteckten. Zur gleichen Zeit kam Iorek immer näher, ohne zu wissen, daß er bald um sein Leben würde kämpfen müssen. Lyra wünschte, sie hätte ihn irgendwie warnen können.

Auf Messers Schneide
     
     
    Kämpfe zwischen Bären waren nichts Ungewöhnliches und Gegenstand zahlreicher Rituale. Daß ein Bär den anderen dabei tötete, war allerdings selten; wenn das passierte, war es im allgemeinen ein Unfall oder ein Mißverständnis, wie im Fall Iorek Byrnisons. Noch seltener war der unverblümte Mord, wie Iofurs Mord an seinem Vater.
    Gelegentlich kam es freilich auch vor, daß ein Streit nur durch einen Kampf um Leben und Tod gelöst werden konnte. In diesem Fall war ein umfangreiches Zeremoniell vorgeschrieben.
    Sobald Iofur angekündigt hatte, daß Iorek Byrnison auf dem Weg nach Svalbard sei und ein Zweikampf stattfinden würde, wurde der Kampfplatz gekehrt und geglättet, und aus den Feuerminen kamen Waffenmeister herauf, um Iofurs Rüstung zu überprüfen. Jede Niete wurde untersucht, jedes Gelenk getestet und die Platten mit feinem Sand poliert. Dieselbe Sorgfalt wurde seinen Klauen gewidmet. Das Blattgold wurde abgerieben, dann wurde jede fünfzehn Zentimeter lange Klaue so spitz zugefeilt, bis sie eine tödliche Waffe war. Lyras Magen begann zu revoltieren, als sie diese Vorbereitungen sah. Um Iorek Byrnison kümmerte sich niemand; er war seit fast vierundzwanzig Stunden ohne Pause und ohne etwas zu essen auf dem Eis unterwegs, und vielleicht hatte er sich bei dem Zusammenstoß verletzt. Und sie hatte ihm diesen Zweikampf eingebrockt, ohne daß er davon wußte. Als Iofur Raknison dann noch die Schärfe seiner Krallen an einem frisch getöteten Walroß erprobte, dessen Haut er wie Papier aufschlitzte, und anschließend die Wucht seiner Schläge am Schädel des Walrosses demonstrierte, den er mit zwei Schlägen zertrümmerte wie ein Ei, verließ Lyra Iofur unter einem Vorwand, um

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