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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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verbracht. Die einzige Abwechslung stellten die unregelmäßigen Besuche von Lord Asriel im College dar. Mit einem reichen und mächtigen Onkel ließ sich zwar gut angeben, aber der Preis dafür war, daß Lyra sich von dem Wissenschaftler, der am schnellsten rennen konnte, einfangen und zur Haushälterin schleppen lassen mußte, die sie wusch und in ein sauberes Kleid steckte; anschließend wurde sie unter vielen Drohungen zum Dozentenzimmer geleitet, um mit Lord Asriel Tee zu trinken. Dazu wurden auch einige wichtige Wissenschaftler eingeladen. Lyra ließ sich dann rebellisch in einen Sessel fallen, bis der Rektor ihr scharf befahl, sich gerade hinzusetzen, worauf sie die anderen finster anstarrte, bis sogar der Kaplan lachen mußte.
    Der Ablauf dieser unangenehmen, steifen Besuche war immer derselbe. Nach dem Tee ließen der Rektor und die dazugeladenen Wissenschaftler Lyra und ihren Onkel allein, und er befahl ihr, sich vor ihn hinzustellen und zu berichten, was sie seit seinem letzten Besuch gelernt hatte. Sie kratzte dann zusammen, was ihr über Geometrie, Arabisch, Geschichte oder Anbarologie einfiel, und er lehnte sich mit übereinandergeschlagenen Beinen zurück und musterte sie mit unergründlichem Blick, bis sie verstummte.
    Im vergangenen Jahr, vor seiner Expedition in den Norden, hatte er anschließend gefragt: »Und was tust du, wenn du nicht fleißig lernst?«
    »Ich spiele«, hatte sie gemurmelt. »Im College und in der  Umgebung. Ich… spiele einfach, ja.«
    »Laß deine Hände sehen, Kind.«
    Sie streckte die Hände aus, und er nahm sie, drehte sie um  und sah sich die Fingernägel an. Neben ihm lag wie eine Sphinx sein Dæmon auf dem Teppich und starrte Lyra unverwandt an; nur der Schwanz zuckte gelegentlich.
    »Dreckig«, sagte Lord Asriel und schob die Hände weg. »Lernst du hier nicht, die Hände zu waschen?«
    »Doch«, sagte sie. »Aber die Nägel des Kaplans sind auch immer dreckig. Sie sind sogar noch dreckiger als meine.«
    »Er ist ein Gelehrter. Was ist deine Entschuldigung?«
    »Ich muß sie nach dem Waschen dreckig gemacht haben.«
    »Wo spielst du, daß du dich so dreckig machst?«
    Sie sah ihn mißtrauisch an. Ein Gefühl sagte ihr, daß über die Dächer zu klettern verboten war, auch wenn niemand ein solches Verbot ausgesprochen hatte. »In einigen der alten Räume«, sagte sie schließlich.
    »Und wo sonst noch?«
    »Manchmal in den Lehmgruben.«
    »Und?«
    »In Jericho und Port Meadow.«
    »Sonst nirgends?«
    »Nein.«
    »Du lügst. Ich habe dich gestern auf dem Dach gesehen.«
    Sie biß sich auf die Lippe und sagte nichts. Er musterte sie spöttisch.
    »Du spielst also auch auf dem Dach«, sagte er dann. »Gehst du auch manchmal in die Bibliothek?«
    »Nein. Aber auf dem Dach der Bibliothek habe ich einen Raben gesehen.«
    »So? Hast du ihn gefangen?«
    »Er hatte sich den Fuß verletzt. Ich wollte ihn töten und braten, aber Roger sagte, wir sollten ihm helfen, damit sein Fuß heilt. Also haben wir ihn gefüttert und ihm Wein zu trinken gegeben, und dann ging es ihm besser, und er flog weg.«
    »Wer ist Roger?«
    »Mein Freund. Der Küchenjunge.«
    »Aha. Du warst also auf allen Dächern…«
    »Nicht auf allen. Auf das Sheldon-Gebäude kommt man nicht, weil man vom Pilgerturm über einen Spalt hinüberspringen muß. Es gibt zwar ein Dachfenster zum Sheldon-Gebäude, aber ich bin zu klein, um hinaufzukommen.«
    »Du warst also auf allen Dächern außer einem. Und unter der Erde?«
    »Unter der Erde?«
    »Der unterirdische Teil des College ist genausogroß wie der oberirdische. Es überrascht mich, daß du das noch nicht entdeckt hast. Also, ich muß gleich gehen. Du siehst gesund aus. Hier.«
    Er suchte in seiner Tasche, holte eine Handvoll Münzen heraus und gab ihr fünf Golddollar.
    »Lernt man hier nicht, danke zu sagen?« sagte er.
    »Danke«, murmelte sie undeutlich.
    »Tust du, was der Rektor sagt?«
    »O ja.«
    »Und du bist brav zu den Wissenschaftlern?«
    »Ja.«
    Lord Asriels Dæmon, die Leopardin, lachte leise. Sie war bisher stumm gewesen, und Lyra wurde rot.
    »Dann geh jetzt spielen«, sagte Lord Asriel.
    Erleichtert wandte Lyra sich zur Tür. Im letzten Moment fiel ihr noch ein, auf Wiedersehen zu sagen, dann rannte sie hinaus.
     
     
    Dies war Lyras Leben gewesen, bis zu dem Tag, an dem sie beschlossen hatte, sich im Ruhezimmer zu verstecken, und an dem sie zum ersten Mal von Staub gehört hatte.
    Und natürlich hatte der Bibliothekar unrecht, wenn er zum

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