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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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hab ein Recht darauf, es zu wissen, wie ich das Recht hatte zu wissen, wer ich bin. Und da du mir das nicht gesagt hast, beantworte mir zum Ausgleich jetzt meine Frage. Also: Was ist Staub? Und warum haben alle solche Angst davor?«
    Er sah sie an, als überlege er, ob sie verstehen würde, was er ihr sagen wollte. Noch nie hatte er sie so ernst angesehen, dachte sie; bis jetzt war er immer wie ein Erwachsener gewesen, der nachsichtig auf die Streiche eines Kindes herabsieht. Jetzt dagegen schien er sie einer Antwort für würdig zu halten. »Staub ist das, was das Alethiometer antreibt«, sagte er. »Ah… habe ich mir fast gedacht! Aber was noch? Wie hat man ihn entdeckt?«
    »Die Kirche wußte im Grunde schon immer davon. Dort predigt man seit Jahrhunderten von Staub, nur nannte man es anders. Aber vor einigen Jahren entdeckte ein Moskowiter namens Boris Michailowitsch Rusakow ein neues Elementarteilchen. Hast du von Elektronen, Photonen, Neutrinos und solchen Dingen gehört? Man nennt sie Elementarteilchen, weil man sie nicht weiter aufspalten kann; sie enthalten nur sich selbst. Gut, und dieses neue Elementarteilchen ließ sich zwar auch nicht aufspalten, aber es war nur sehr schwer meßbar, weil es auf keine der üblichen Arten reagierte. Am schwierigsten war für Rusakow zu verstehen, warum das neue Teilchen sich überall dort zu konzentrieren schien, wo Menschen waren, als ob es von uns angezogen würde, ganz besonders von Erwachsenen. Zwar zogen auch Kinder es an, aber nicht annähernd so stark, solange ihre Dæmonen noch keine feste Gestalt angenommen hatten. In der Zeit der Pubertät beginnen sie den Staub dann stärker anzuziehen, bis er sich genauso stark an sie heftet wie an Erwachsene. Nun haben alle Entdeckungen dieser Art Auswirkungen auf die Lehre der Kirche und müssen deshalb durch das Magisterium in Genf abgesegnet werden. Rusakows Entdekkung war aber so unwahrscheinlich und seltsam, daß der Inspektor des Geistlichen Disziplinargerichts argwöhnte, Rusakow sei vom Teufel besessen. Er führte in seinem Labor eine Teufelsaustreibung durch und verhörte Rusakow nach den Regeln der Inquisition, doch schließlich mußte die Kirche sich damit abfinden, daß Rusakow weder ein Lügner noch ein Betrüger war: Staub existierte tatsächlich.
    Damit standen sie vor dem Problem, daß sie entscheiden mußten, was Staub war. Und angesichts des Wesens der Kirche konnten sie nur eine Entscheidung treffen. Das Magisterium entschied, Staub sei der physikalische Beweis der Erbsünde. Weißt du, was das ist?«
    Lyra nagte auf ihren Lippen. Sie fühlte sich an Jordan erinnert, wenn sie Fragen zu etwas gestellt bekam, von dem sie im Unterricht einmal gehört hatte.
    »So ungefähr«, sagte sie.
    »Nein, du weißt es nicht. Geh an das Regal neben dem Schreibtisch und bringe mir die Bibel.«
    Lyra gehorchte und gab ihrem Vater das große, schwarze Buch.
    »Kennst du die Geschichte von Adam und Eva?«
    »Klar«, sagte sie. »Eva durfte den Apfel nicht essen, aber die Schlange führte sie in Versuchung, und dann tat sie es doch.«
    »Und was geschah dann?«
    »Hm… Sie wurden rausgeworfen. Gott warf sie aus dem Paradies heraus.«
    »Gott hatte ihnen verboten, von der Frucht zu essen, weil sie sonst sterben würden. Sie waren ja nackt im Garten, sie waren wie Kinder, und ihre Dæmonen konnten jede beliebige Gestalt annehmen. Die Geschichte geht so.«
    Er schlug das dritte Kapitel der Genesis auf und las:
     
     
    »Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den  Früchten der Bäume im Garten;  aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten  hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie nicht an, daß  ihr nicht sterbet!
    Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben,  sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esset,  werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie  Gott und wissen, was gut und böse ist.
    Und das Weib sah, daß von dem Baum gut zu essen  wäre und daß er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er dem Dæmon des Menschen seine wahrhafte Gestalt gab. Und sie nahm von der Frucht und aß  und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon, und er  aß.
    Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan, und sie  sahen die wahre Gestalt ihrer Dæmonen und sprachen  mit ihnen.
    Doch als der Mann und das Weib ihre Dæmonen  erkannten, wußten sie, daß ein großer Wandel über sie  gekommen war, denn bis dahin waren sie eins gewesen  mit den

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