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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Rektor 1748-1765 Zoharid 
    Requiescant in pace
     
    Ignatius Cole, Rektor 1745-1748 Musca
    Requiescant in pace
     
    Interessiert sah Lyra, daß auf jedem Sarg eine Messingplakette mit dem Bild eines Lebewesens angebracht war: etwa ein Basilisk, eine Schlange oder ein Affe. Sie begriff, daß es sich um Bilder der Dæmonen der toten Männer handelte. Wenn Menschen erwachsen wurden, verloren ihre Dæmonen die Fähigkeit, sich zu verwandeln, und behielten immer dieselbe Gestalt bei.
    »In den Särgen liegen Skelette«, flüsterte Roger.
    »Vermoderndes Fleisch«, flüsterte Lyra. »Und Augenhöhlen, in denen es vor Maden und Würmern wimmelt.«
    »Hier gibt es sicher Gespenster«, sagte Roger, und ein angenehmer Schauer lief ihm über den Rücken.
    Auf der anderen Seite der ersten Krypta stießen sie auf einen von steinernen Regalen gesäumten Gang. Jede Etage war in viereckige Fächer unterteilt, und in jedem Fach lag ein Schädel.
    Rogers Dæmon zitterte, den Schwanz fest zwischen die Beine geklemmt, und wimmerte leise.
    »Pst!« sagte Roger.
    Lyra konnte Pantalaimon nicht sehen, wußte aber, daß er als Nachtfalter auf ihrer Schulter saß und wahrscheinlich auch zitterte.
    Sie langte hinauf und holte vorsichtig einen Schädel aus seinem Fach.
    »Was tust du da?« fragte Roger. »Du darfst ihn nicht anfassen!«
    Sie beachtete ihn nicht und drehte den Schädel in ihren Händen hin und her. Plötzlich fiel etwas durch das Loch in der Schädelbasis — es fiel durch ihre Finger und traf laut klirrend auf dem Boden auf. Vor Schreck hätte sie den Schädel beinahe fallen lassen.
    »Ein Münze!« rief Roger und tastete auf dem Boden danach. »Vielleicht ein Schatz!«
    Er hielt den Gegenstand ins Licht der Kerze, und sie starrten ihn mit aufgerissenen Augen an. Es handelte sich nicht um eine Münze, sondern um eine kleine Scheibe aus Bronze mit dem roh eingeritzten Bild einer Katze.
    »Wie die Bilder auf den Särgen«, sagte Lyra. »Das ist sein Dæmon. Ganz bestimmt.«
    »Stell ihn lieber wieder zurück«, sagte Roger ängstlich, und Lyra drehte den Schädel um, ließ die Scheibe wieder dorthin fallen, wo sie seit undenklichen Zeiten gelegen hatte, und stellte den Schädel ins Regal zurück. Sie erkundeten, daß auch die anderen Schädel Dæmonen-Münzen enthielten, so daß der lebenslange Gefährte des Verstorbenen diesem auch im Tod nahe war.
    »Wer mögen die Toten gewesen sein?« überlegte Lyra. »Wahrscheinlich Wissenschaftler. Nur die Rektoren bekommen Särge. Wahrscheinlich gab es über die Jahrhunderte so viele Wissenschaftler, daß nicht genug Platz war, sie alle zu begraben, deshalb schnitt man ihnen einfach die Köpfe ab und bewahrte sie hier auf. Das ist sowieso der wichtigste Teil von ihnen.«
    Zwar begegneten Lyra und Roger keinem Gobbler, aber die Katakomben unter dem Bethaus hielten sie tagelang in Atem. Eines Tages wollten sie einigen toten Wissenschaftlern einen Streich spielen und tauschten die Münzen in den Schädeln aus, so daß die falschen Dæmonen in den Schädeln lagen. Pantalaimon wurde daraufhin so aufgeregt, daß er sich in eine Fledermaus verwandelte, auf und ab flatterte, spitze Schreie ausstieß und Lyra mit den Flügeln ins Gesicht schlug, aber Lyra ging nicht weiter darauf ein. Dazu fand sie den Scherz zu gut. Später mußte sie allerdings dafür büßen. Nachts im Bett in ihrem engen Zimmer am oberen Ende der Treppe Nr. 12 wurde sie von Geistern heimgesucht. Sie fuhr schreiend hoch, als drei Gestalten in Talaren an ihrem Bett erschienen und mit knochigen Fingern auf sie zeigten; dann schlugen sie ihre Kapuzen zurück, und Lyra sah blutige Stümpfe, wo eigentlich die Köpfe hätten sein sollen. Erst als Pantalaimon sich in einen Löwen verwandelte und die Gestalten anbrüllte, wichen sie zurück und verschmolzen mit der Wand, bis nur noch ihre Arme sichtbar waren, dann die hornigen, graugelben Hände, dann die zukkenden Finger und schließlich nichts mehr. Sobald der Morgen graute, eilte Lyra in die Katakomben hinunter und legte die Münzen wieder an die richtigen Plätze. »Tut mir leid!« flüsterte sie.
    Die Katakomben waren viel größer als die Weinkeller, aber auch sie hatten ein Ende. Als Lyra und Roger jeden Winkel erkundet hatten und überzeugt waren, daß es hier keine Gobbler gab, wandten sie ihre Aufmerksamkeit wieder anderen Dingen zu. Jedoch wurden sie, als sie das letzte Mal aus der Krypta stiegen und das Bethaus verlassen wollten, vom Fürsprecher gesehen. Er rief sie ins

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