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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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nicht nur eine einzige Person ist?«
    »Charlie hat sie in Banbury gesehen«, sagte ein gyptisches Mädchen. »Sie haben mit einer Frau gesprochen, und inzwischen hat ein anderer Mann ihren kleinen Jungen aus dem Garten geholt.«
    »Stimmt«, piepste Charlie, ein Gypterjunge, »ich habe es gesehen.«
    »Wie sahen sie aus?« fragte Lyra.
    »Hm… ich habe sie nicht genau sehen können«, sagte Charlie. »Aber ihren Lastwagen schon«, fügte er hinzu. »Sie kamen in einem weißen Laster. Sie steckten den Jungen in den Laster und fuhren dann schnell weg.«
    »Und sie fressen die Kinder auf«, sagte wieder der erste Junge. »Das hat uns jemand in Northampton gesagt, dort waren sie nämlich auch. Dieses Mädchen in Northampton, also ihr Bruder wurde weggeholt, und sie sagte, die Männer, die ihn holten, hätten gesagt, sie würden ihn auffressen. Das weiß doch jeder. Sie fressen sie auf.«
    Ein gyptisches Mädchen begann laut zu weinen.
    »Das ist Billys Cousine«, sagte Charlie.
    »Wer hat Billy zuletzt gesehen?« fragte Lyra.
    »Ich«, antworteten ein halbes Dutzend Stimmen. »Ich habe gesehen, wie er Johnny Fiorellis altes Pferd hielt — Ich habe ihn am Stand mit den kandierten Äpfeln gesehen — Ich habe gesehen, wie er mit dem Kran herumschwang…«
    Lyra entnahm dem allem schließlich, daß Billy vor höchstens zwei Stunden sicher zum letztenmal gesehen worden war. »Die Gobbler müssen also irgendwann in den letzten beiden Stunden hier gewesen sein«, sagte sie.
    Die Kinder sahen sich um und fröstelten trotz der warmen Sonne, des Menschengedränges auf dem Kai und der vertrauten Gerüche nach Teer, Pferden und Tabak. Das Problem war, daß niemand wußte, wie die Gobbler aussahen, und daß deshalb jeder einer sein konnte, erklärte Lyra der entsetzten Truppe von Collegekindern und Gyptern, deren Anführerin sie nun bereits war.
    »Sie sehen sogar ganz sicher aus wie gewöhnliche Leute, sonst würde man sie ja sofort erkennen. Wenn sie nur nachts kämen, wäre das egal. Aber wenn sie auch am hellen Tag kommen, müssen sie normal aussehen. Jeder von diesen Leuten da könnte also ein Gobbler sein…«
    »Nein«, sagte ein Gypter unsicher. »Die Leute hier kenne ich alle.«
    »Na ja, nicht die, aber alle anderen«, sagte Lyra. »Also los, suchen wir sie! Und ihren weißen Lastwagen!«
    Hektisches Treiben entstand. Weitere Kinder stießen zu ihnen, und über kurz oder lang waren es dreißig und mehr gyptische Kinder, die über die Kais liefen, in die Ställe hinein- und wieder herausrannten, über die Kräne und Ladebäume der Bootswerft kletterten, über den Zaun auf die große Wiese sprangen, zu fünfzehnt auf der alten Drehbrücke über das grüne Wasser schwangen und durch die engen Straßen von Jericho schwärmten, vorbei an den aus Ziegeln erbauten kleinen Reihenhäusern und hinein in die große Kirche mit ihrem breiten Turm, die dem heiligen Barnabas, dem Alchimisten, geweiht war. Die Hälfte der Kinder wußten nicht, wonach sie suchten; sie hielten das Ganze für einen großen Spaß. Aber die Kinder, die Lyra folgten, erschraken jedesmal zu Tode, wenn sie in einer Gasse oder in der dämmrigen Kirche eine einsame Gestalt erblickten. War das ein Gobbler?
    Natürlich nicht. Allmählich, als der Erfolg ausblieb und Billy nicht wiederauftauchte, wurde das Spiel langweilig. Als Lyra und die beiden Jungen aus dem College Jericho zur Abendessenszeit verließen, sahen sie, daß die Gypter sich auf dem Kai in der Nähe der Stelle, an der das Boot der Costas vertäut lag, versammelt hatten. Einige Frauen weinten laut, die Männer standen wütend in Gruppen zusammen, und ihre Dæmonen zuckten nervös bei jedem Geräusch zusammen oder fletschten die Zähne, wenn sich ein Schatten bewegte.
    »Ich wette, hier trauen die Gobbler sich nicht herein«, sagte Lyra zu Simon Parslow, als sie die große Eingangshalle von Jordan betraten.
    »Nein«, sagte Simon unsicher. »Aber ich weiß, daß auf dem Markt ein Kind vermißt wird.«
    »Wer?« fragte Lyra. Sie kannte die meisten Kinder vom Markt, aber davon hatte sie noch nichts gehört.
    »Jessie Reynolds, die Tochter des Sattlers. Sie war gestern bei Ladenschluß nicht da, dabei hatte sie nur ihrem Vater einen Fisch zum Tee holen wollen. Sie kam nicht zurück, und niemand hat sie gesehen. Man hat den ganzen Markt und alles nach ihr abgesucht.«
    »Davon weiß ich ja gar nichts!« sagte Lyra empört. Sie betrachtete es als schwerwiegendes Versäumnis ihrer Gefolgsleute, ihr nicht

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