Der Goldene Kompass
den Stöpsel gefunden hätten, nie im Leben hätten wir ihn herausgezogen! Es war doch alles nur Spaß. Niemals hätten wir es versenkt!«
Da begann auch John Faa zu lachen. Mit der flachen Hand schlug er so kräftig auf den Tisch, daß die Gläser klirrten, und seine massigen Schultern zuckten, und er mußte sich die Tränen aus den Augen wischen. Lyra hatte so etwas noch nie gesehen, geschweige denn ein solches Brüllen gehört; es klang, als lache ein Berg.
»Ach ja«, keuchte er, als er wieder sprechen konnte, »davon haben wir auch gehört, Mädchen! Und ich weiß, daß die Costas seitdem auf Schritt und Tritt daran erinnert werden. ›Laß lieber eine Wache auf deinem Boot, Tony‹, spotten die Leute. ›Hier treiben sich böse kleine Mädchen herum!‹ Diese Geschichte hat sich wie ein Lauffeuer überall in den Fens ausgebreitet. Aber wir bestrafen dich dafür nicht. Nein, nein! Sei unbesorgt.«
Er sah Farder Coram an, und die beiden Männer lachten wieder, wenn auch diesmal leiser.
Lyra war beruhigt.
Schließlich schüttelte John Faa den Kopf und wurde wieder ernst.
»Lyra, was ich sagen wollte, war, daß wir dich von Kind auf kennen. Seit du ein Baby warst. Und du sollst wissen, was wir wissen. Ich habe keine Ahnung, was sie dir in Jordan College über deine Herkunft erzählt haben, jedenfalls kennt man dort nicht die ganze Wahrheit. Haben sie dir je gesagt, wer deine Eltern waren?«
Nun war Lyra völlig verwirrt.
»Ja«, antwortete sie. »Sie sagten, ich sei… sie sagten, sie… sie sagten also, Lord Asriel hätte mich ins College gebracht, weil meine Eltern beim Absturz eines Luftschiffes gestorben sind. Das sagten sie.«
»So, so. Na gut, Kind, jetzt erzähle ich dir eine andere Geschichte, eine wahre Geschichte. Daß sie wahr ist, weiß ich, weil eine Gypterin sie mir erzählt hat und kein Gypter jemals John Faa oder Farder Coram belügen würde. Also höre die Wahrheit über dich, Lyra. Dein Vater kam nicht bei einem Luftunfall ums Leben, denn dein Vater ist Lord Asriel.«
Lyra erstarrte.
»Es war so«, fuhr John Faa fort. »Als junger Mann unternahm Lord Asriel ausgedehnte Forschungsreisen in den Norden und kehrte mit einem großen Vermögen zurück Er war ein temperamentvoller Mensch, aufbrausend und leidenschaftlich. Auch deine Mutter war eine leidenschaftliche Frau. Zwar nicht von so vornehmer Herkunft wie er, aber sehr klug. Sie war Studentin, und alle, die sie sahen, sagten, sie sei sehr schön. Sie und dein Vater verliebten sich gleich bei ihrer ersten Begegnung ineinander. Das Problem war jedoch, daß deine Mutter bereits verheiratet war. Sie hatte einen Politiker geheiratet, ein Mitglied der Partei des Königs und einer von dessen engsten Beratern. Einen aufstrebenden Mann.
Als deine Mutter merkte, daß sie schwanger war, fürchtete sie sich davor, ihrem Mann zu gestehen, daß das Kind nicht von ihm war. Und als das Baby zur Welt kam — und das warst du, Mädchen —, war auf den ersten Blick klar, daß du nicht ihrem Mann, sondern deinem wahren Vater ähnlich sahst, und deshalb hielt deine Mutter es für das Beste, dich zu verstecken und so zu tun, als wärst du gestorben.
Also wurdest du nach Oxfordshire gebracht, wo dein Vater Land besaß, und in die Obhut einer gyptischen Amme gegeben. Aber irgend jemand verriet dem Mann deiner Mutter, was geschehen war. Sofort eilte er dorthin und durchsuchte die Hütte der Gypterin, doch sie war in das Herrenhaus geflohen, wohin der Mann deiner Mutter ihr in mörderischem Zorn folgte. Dein Vater war auf der Jagd, aber man benachrichtigte ihn, und er kam gerade noch rechtzeitig, um sich dem Mann deiner Mutter am Fuß der großen Treppe in den Weg zu stellen. Einen Augenblick später, und er hätte den Schrank aufgebrochen, in dem sich die Gypterin mit dir versteckte; so aber forderte Lord Asriel ihn zum Duell, und sie kämpften auf den Stufen, und Lord Asriel tötete ihn. Die Gypterin hat alles gesehen und gehört, Lyra, und von ihr haben wir es erfahren.
Danach kam es zu einem großen Rechtsstreit. Dein Vater ist kein Mann, der die Wahrheit abstreitet oder vertuscht, und der Fall brachte die Richter in Bedrängnis. Zwar hatte dein Vater getötet und Blut vergossen, aber im Grunde hatte er ja nur sein Haus und sein Kind gegen einen Eindringling verteidigt. Andererseits erlaubt das Gesetz jedem Mann, die Vergewaltigung seiner Frau zu rächen, und die Anwälte des Toten behaupteten, nichts anderes hätte ihr Mandant vorgehabt.
Der Fall zog
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