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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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ein Pulver in den Wein schüttete, und erzählte meinem Onkel davon. Er stieß die Karaffe vom Tisch und verschüttete den Wein. So habe ich ihm das Leben gerettet. Aber ich konnte nicht verstehen, warum der Rektor, der immer so freundlich war, ihn vergiften wollte. Dann, am Morgen, als ich fortging, rief er mich in aller Frühe in sein Arbeitszimmer. Ich mußte heimlich hingehen, damit niemand davon erfuhr, und er sagte dann…« Lyra überlegte angestrengt, was genau der Rektor gesagt hatte, doch vergeblich. Sie schüttelte den Kopf. »Ich verstand nur, daß er mir etwas geben wollte, das ich vor Mrs. Coulter geheim halten mußte. Aber Ihnen kann ich es, glaube ich, verraten…«
    Lyra griff in die Tasche des Wolfspelzmantels und holte das in Samt eingewickelte Päckchen heraus. Sie legte es auf den Tisch und spürte die fragenden Blicke der beiden Männer, die unverhohlene Neugier John Faas und den lebhaften Verstand Farder Corams.
    Als sie das Alethiometer ausgewickelt hatte, sprach als erster Farder Coram.
    »Nie hätte ich mir träumen lassen, jemals wieder ein solches Instrument zu Gesicht zu bekommen. Das ist ein Zeichendeuter. Hat der Rektor noch etwas darüber gesagt, mein Kind?«
    »Nein, nur daß ich selbst herausfinden muß, wie man es liest. Und er nannte es Alethiometer.«
    »Was heißt das?« wollte John Faa wissen.
    »Alethiometer ist griechisch. Ich glaube, es kommt von aletheia, was Wahrheit bedeutet. Es handelt sich also um einen Wahrheitsmesser. Weißt du inzwischen, wie man es benutzt, Lyra?«
    »Nein. Ich kann zwar die drei kurzen Zeiger auf verschiedene Bilder stellen, aber mit dem langen kann ich nichts anfangen. Er schlägt nach allen möglichen Seiten aus. Nur manchmal, wenn ich mich konzentriere, kann ich die lange Nadel durch meine Gedanken in die eine oder andere Richtung lenken.«
    »Wozu ist es gut, Farder Coram?« fragte John Faa. »Und wie liest man es?«
    »All diese Bilder hier am Rand sind Symbole«, sagte Farder Coram und hielt das Alethiometer vorsichtig John Faa entgegen, der verständnislos daraufblickte. »Jedes von ihnen hat verschiedene Bedeutungen. Nimm zum Beispiel den Anker hier. Zunächst einmal bedeutet er Hoffnung, denn die Hoffnung hält dich fest wie ein Anker und verhindert, daß du abtreibst. Seine zweite Bedeutung ist Beständigkeit. Drittens kann er Schwierigkeiten oder ein Hindernis bedeuten. Viertens verkörpert er das Meer, und so weiter. Er kann bis zu zehn, zwölf oder sogar unendlich viele Bedeutungen haben.«
    »Und Ihr kennt sie alle?«
    »Ich kenne einige, aber um alle zu verstehen, brauchte ich das Buch. Ich habe das Buch gesehen und weiß, wo es sich befindet, aber ich habe es nicht.«
    »Darüber müssen wir noch sprechen«, sagte John Faa. »Aber jetzt erklärt uns weiter, wie man das Instrument liest.«
    »Es gibt also drei Zeiger, die man bewegen kann«, sagte Farder Coram, »und man kann mit ihnen eine Frage stellen. Indem man sie auf drei Symbole richtet, läßt sich jede beliebige Frage stellen, denn jedes Symbol verweist ja wieder auf viele Ebenen. Sobald man eine Frage formuliert hat, schlägt die lange Nadel aus und zeigt auf weitere Symbole, in denen die Antwort steckt.«
    »Aber woher weiß die Nadel, welche Ebene mit der jeweiligen Frage angesprochen wird?« fragte John Faa.
    »Von allein weiß sie es nicht. Es funktioniert nur, wenn der Fragesteller zur gleichen Zeit an die Ebenen denkt. Zunächst muß er alle Bedeutungen kennen, und das dürften mindestens tausend sein. Dann muß er sie im Gedächtnis behalten und darf weder eingreifen noch ungeduldig werden, wenn die Nadel sich dreht. Wenn sie das Zifferblatt einmal umrundet hat, kennt er die Antwort. Ich weiß, wie es funktioniert, weil ich in Uppsala einmal einem Weisen dabei zugeschaut habe, aber das war bis zum heutigen Tag meine einzige Begegnung mit einem Alethiometer. Weißt du, wie selten sie sind, Lyra?«
    »Der Rektor sagte, daß nur sechs gebaut wurden.«
    »Wie viele es auch immer sein mögen, jedenfalls sind es nicht viele.«
    »Und du hast Mrs. Coulter nichts davon gesagt, wie der Rektor dir aufgetragen hatte?« fragte John Faa.
    »Ja. Aber ihr Dæmon schnüffelte oft in meinem Zimmer herum, und ich bin sicher, daß er das Alethiometer entdeckt hat.«
    »Ich verstehe. Hör zu, Lyra, ich weiß nicht, ob wir jemals die volle Wahrheit erfahren werden, aber nach allem, was ich weiß, vermute ich folgendes. Der Rektor wurde von Lord Asriel beauftragt, für dich zu sorgen und

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