Der goldene Kuß
Jarut leise sprach in einer Situation, wo man hätte eigentlich schreien müssen, wurde es gefährlich. Heimann kannte das aus vielen Auseinandersetzungen in den Studios. Wenn Tommy Brest die Kulissen umschmiß vor Wut, dann saß die Jarut zunächst still auf ihrem Stühlchen, um dann … Ja, dann allerdings hielt sie niemand mehr auf. Dann wurde sie ein Naturereignis wie Wirbelsturm oder Springflut.
»Warum hast du uns auch nicht gesagt, daß du dich auf der Straße mit Ehefrauen kloppst?« Heimann wollte ihr die Zeitung wegnehmen, aber sie hielt sie mit beiden Händen fest. »Ich hätte das bei dem Alten hingekriegt. Aber wenn der das erst durch die Zeitungen erfährt … du kennst doch die Moral des heiligen Aloys.«
»Ich will telefonieren«, sagte Karin Jarut ruhig. Heimann und Tommy Brest starrten sie entgeistert an.
»Wohin?«
»Zu Theo Pelz. Verschafft mir eine Verbindung zu Pelz. Sofort.« Ihre Stimme stieg an, als sie Heimanns Zögern sah. »Ich will mit Pelz telefonieren, oder dieses Krankenhaus erlebt etwas, wovon man hundert Jahre sprechen wird!«
»Ich will's versuchen.« Heimann sprang auf, rannte zur Tür und zog Tommy Brest mit sich. Auf dem Flur wischte er sich den Schweiß vom Gesicht. »Als Gott uns 'ne Rippe klaute und daraus das Weib schuf, muß er schizophren gewesen sein!« stöhnte er. Tommy Brest zupfte seine Krawatte zurecht.
»Zumindest hätte er den Kopf sparen können. Was unterm Kinn beginnt, ist brauchbar.«
»Tommy, da kommt ein Rummel auf uns zu, von dem wir noch lange zehren werden …«
Zehn Minuten später trug eine kleine, immer freundliche Schwester ein weißes Telefon in Karins Zimmer, schloß es an und sagte:
»Deutschland ist schon am Apparat. Nehmen Sie ab, Madame.«
Karin Jarut lehnte sich in die Kissen zurück, riß den Hörer ans Ohr und sagte knapp: »Ja?«
»Hier Funkhaus.«
»Aha! Fräulein Dehmel. Nicht wahr?«
»Ja. Frau Jarut?«
»Ganz recht. Ist Direktor Pelz im Hause?« Sie sah auf ihre Uhr. In Deutschland war es jetzt vierzehn Uhr. Um diese Zeit saß Pelz meist allein in seinem Zimmer und trank nach dem Kantinenessen einen starken Kaffee.
»Ich will es versuchen, Frau Jarut.«
Ein paarmal knackte es im Apparat, es rauschte und wisperte, dann hörte Karin die Stimme Theo Pelz'. Ein hartes Lächeln zog über ihr Gesicht.
»Theo?«
»Karin. Meine Liebe! Soeben kam das Telegramm von deinem Unfall an. Schrecklich! Wie geht es dir? Wie ich höre, ist deine Sprache nicht gelähmt. Wäre ja auch ein Wunder gewesen, wenn eine Giftschlange die andere beißt. Lebt die arme Schlange noch?«
»Erwarte nicht, daß ich über deinen Aphorismus lache. Auch dein Telegramm ist angekommen.«
»Eine Anordnung vom Alten, Liebes. Ich war nur Briefträger.«
»Und die Pressekonferenz?«
»Auch Sache des Intendanten. Woher weißt du überhaupt?«
»Auch in Limassol gibt es deutsche Zeitungen. Und nun hör einmal zu, Theo …«
»Karin, Liebes, bevor du etwas Unbedachtes sagst, hör mich an!«
»Nein!« Die Stimme Karins war laut. »Jetzt rede ich, und danach ist Sendepause! Ich werde, sobald man mich hier losläßt, zurück nach Deutschland kommen! Und dann berufe ich eine Pressekonferenz ein und werde den Knaben erzählen, was hinter den Mahagonitüren des Funkhauses vor sich geht. Da ist ein Programmdirektor, der Begabungen auf der Couch testet …«
»Karin, das ist infam!« schrie Pelz.
»Da ist ein Regisseur, der so warm ist, daß man im Winter die Heizung im Studio sparen kann, wenn er dort dreht. Und da ist ein der Moral verpflichteter Intendant, der seit zwei Jahren vergeblich versucht, Karin Jarut zu einer Übernachtung in seinem Jagdhaus zu überreden!«
Man hörte deutlich, wie Pelz viel Luft durch die Nase einatmete. »Ist das wahr, Schatz?« fragte er dann heiser.
»Ich habe es nicht nötig, solche Dinge hinzuzulügen, ich lasse höchstens einiges weg! Was glaubst du, was in Deutschland passiert nach dieser Pressekonferenz? Vergeßt nicht: Ich bin nun bald neun Jahre bei eurem Verein! Darüber könnte ich neun nicht jugendfreie Bücher schreiben. Jahresringe eines Funkhauses. Denk mal an die Sache mit der Volontärin Ursula. Kommt in ein abgedunkeltes Studio, jemand greift zu, hält ihr den Mund zu, sie wird vor Schreck ohnmächtig, und als sie zu sich kommt, liegt sie im Dekorationsbett des Fernsehspieles ›Madame Pompadour‹ und ist keine Jungfrau mehr! Ist nie herausgekommen, wer's war. Ursula aber wurde in Rekordzeit Regie-Assistentin und
Weitere Kostenlose Bücher