Der goldene Kuß
Boxer, Gewichtheber, Ringer, Turner, Sprinter. Es war Samstag abend, die Athleten kamen vom Sieg und sollten interviewt werden. Statt dessen krümmte sich plötzlich die Sekretärin auf ihrem Stuhl, begann zu stöhnen, drückte die Hände auf den Leib und gegen das Rückgrat und ächzte: »Schnell einen Arzt … ich bekomme ein Kind …«
Man hatte sie sofort in das Zimmer des Redakteurs getragen, auf eine Couch gelegt und alles, was zuständig war, alarmiert. Zwei Putzfrauen, die die leeren Büros der Verwaltung putzten, kamen mit Eimern heißen Wassers herauf. Die Schwester von der Ersten-Hilfe-Station des Funkhauses breitete Tücher, Zellstoff und Tupfer aus.
»Warum bringt man sie nicht ins Krankenhaus?« rief Theo Pelz, der sich bis zu der Gebärenden durchgekämpft hatte.
»Zu spät.« Die Rote-Kreuz-Schwester richtete sich auf. »Es sind ja schon die Preßwehen … das Kind muß gleich kommen … So schnell habe ich das noch nie erlebt …«
»Das kommt davon, wenn man dauernd Rekorde tippen muß«, sagte jemand im Hintergrund. Theo Pelz fuhr wie gestochen herum.
»So eine dusselige Bemerkung kann auch nur ein Muskelprotz machen, dem das Gehirn in den Bizeps gerutscht ist! Wo bleibt denn der Arzt aus Studio V?«
»Schon da!« rief jemand von der Tür des Sekretariats. »Ein Glück, daß heute keine Tiersendung dran ist …«
Die Männer lachten. Selbst über das schweißnasse Gesicht der Gebärenden lief ein Hauch von Lächeln.
»Alles raus!« sagte der Arzt. Er warf einen Blick auf die Stöhnende, beugte sich vor und winkte dann mit beiden Händen. »Raus! Auch Sie, Herr Direktor! Für diese Sendung brauchen Sie kein Honorar zu bezahlen …«
Bis auf die Schwester, die beiden Putzfrauen und einem Fußballverein-Masseur, den der Arzt als Assistenten brauchte, wurden alle aus dem Zimmer gedrängt. Theo Pelz begab sich nebenan in den Regieraum und rief von dort Dr. Rathberg an.
»Herr Intendant, wir bekommen ein Kind«, sagte er und sah das entgeisterte Gesicht des Intendanten vor sich. Die Antwort war auch danach.
»Haben Sie getrunken, Herr Pelz?«
»Nein. In der Sportredaktion bekommt jemand ein Kind. Ampex aus Studio V ist unterbrochen; der Arzt macht gerade Geburtshilfe.«
»Will man mich mit Gewalt ins Irrenhaus bringen?«
Pelz hörte, wie Dr. Rathberg auf den Schreibtisch schlug. Es tat ihm gut.
»Wir haben dieses Mal großes Glück, Herr Intendant. Die werdende Mutter ist Frau Hönisch. Seit vier Jahren verheiratet mit dem Kameramann Hans Hönisch. Die Geburt ist also legal und als rührendes Stück propagandistisch auszuwerten. Ich schlage vor, Herr Intendant, Sie übernehmen spontan die Patenschaft. Das kommt ja beim Fernsehvolk an! Das erreicht Bewertungsziffer 9! Ich lasse von der Nachtschau die Kamera runterkommen, und wir machen für die Spätausgabe einen Film: Sie mit dem neugeborenen Kind auf dem Arm in der Sportredaktion. Patenonkel Intendant …«
»Sind Sie verrückt, Pelz?«
»Diese Sondersendung schlägt alles, selbst die mögliche Pressekampagne der Jarut! Onkel mit Kind – das ist so tiefes deutsches Gemüt, daß nichts anderes mehr dagegen aufkommt.«
»Ich sehe mir das Kind mal an.« Die Stimme Dr. Rathbergs war zögernd. »Im Grunde genommen haben Sie recht … so etwas kommt nicht alle Tage vor. Holen Sie die Kameras ins Sportstudio …«
*
Während bei Larnaka auf Zypern eine Chartermaschine aufstieg – zum erstenmal bewies Amar seinen Reichtum, indem er ein eigenes Flugzeug mietete, da alle Linienmaschinen ausgebucht waren –, eine Abschiedsschleife zog und Heimann und Tommy Brest ihr nachwinkten, holte Intendant Dr. Rathberg, zünftig in einer grünen Jägerkluft, Vera Hartung vom Hotel ab.
Die wichtige geschäftliche Besprechung nahm ihren Anfang.
»Gespannt?« fragte Rathberg, als Vera neben ihm saß.
»Und wie! Wo geht es denn hin?«
»Nach Süden. Ich habe dort ein Jagdrevier. Und mitten im Wald, romantisch wie in alten Jägerfilmen, liegt mein Jagdhaus. Es heißt ›Brettenstein‹.«
»Ein schöner Name.« Vera sah ihren Intendanten von der Seite an. Er machte heute einen ausgesprochen jugendlichen Eindruck. Alle Gerüchte von seiner Unnahbarkeit mußten Lügen sein, wenn er so, wie jetzt, wirklich war. Aber der Fall Karin Jarut … eiskalt hatte Dr. Rathberg sie hinausgeworfen. Warum war er zu ihr so ganz anders?
»Gestern, im Nachtprogramm, das war herrlich. Das süße Kind. Und Sie als Pate … ich habe vor Begeisterung geklatscht.«
Dr.
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