Der goldene Kuß
einem Tuch. »Nein, erst wenn wir gehen«, sagte er, als Vera sehen wollte, wie er sie gemalt hatte und ob es auch ähnlich war.
Nach vier Stunden legte Brest seine Pinsel hin, nahm das Bild von der Staffelei und ging hinüber zu Vera.
»Bitte …«, sagte er. »Schimpfen Sie nicht, Vera …«
Er drehte das erst halbfertige Gemälde, dann sah sie Tommy Brest in die bettelnden Augen.
»Das hätten Sie nicht tun dürfen, Tommy. Sie haben mich nackt gemalt …«
»Ich konnte es nicht anders, Vera. Die Göttin der unsterblichen Schönheit muß nackt sein. Ihre Schönheit muß heller strahlen als die Sonne auf ihrer Haut. Sie allein ist Mittelpunkt des Bildes. Wie soll man sonst begreifen, was ich sagen will: Steine verwehen im Sand, zerbröckeln im Wind … aber die Liebe ist ewig.«
Er drückte das Bild an sich wie ein kleiner Junge, dem man das Spielzeug wegnehmen will.
»Wie soll man den anderen klarmachen, daß ich Ihnen nicht als Aktmodell gesessen habe?« Vera Hartung schüttelte den Kopf. »Es geht nicht, Tommy. Übermalen Sie das Bild mit einem Kleid.«
»Ich muß es wohl tun. Ich werde es heute abend noch im Hotel übermalen.« Brest ging zum Wagen zurück. Über das Meer zog sich der rote Streifen der untergehenden Sonne.
Es war schon sehr spät, als sie wieder in Limassol einfuhren und zum Hotel kamen. Das Kamerateam war längst von den Klöstern zurückgekehrt, Heimann saß auf seinem Zimmer und schrieb das Drehbuch um, Helmke wehrte sich an der Bar gegen die Frotzeleien seiner Kollegen, die Vera ein Verhältnis zu Tommy Brest andichteten.
»Paß auf, die kommen zurück wie verliebte Koala-Bären!« sagte jemand zu Helmke. »Mußte ja so kommen … wer widersteht Tommys traurigem Charme? Das ist seine ganz große Masche … Weltschmerz und große Kinderaugen. Das haut die Weiber reihenweise um wie eine MG-Garbe. Nichts tut eine Frau lieber als trösten. Horst, paß auf, die biste los …«
Um zweiundzwanzig Uhr endlich kamen Tommy und Vera zum Hotel zurück. Helmke sah sie kommen und atmete auf. Aber gleichzeitig drückte ihn sein Herz wie ein Eisenklumpen. Sie sieht so fröhlich aus, dachte er bitter. Sie sieht wirklich aus wie eine Verliebte. Soll zwischen mir und Vera alles zu Ende sein, bevor es richtig begonnen hat? Und was heißt begonnen … ich will sie heiraten. Ich liebe sie. Ich will sie nie verlieren …
Er beobachtete von der Bar aus, wie Tommy und Vera mit dem Lift hinauf in ihre Zimmer fuhren. Ein Boy trug die Malutensilien hinterher.
Er hat sie gemalt! Horst Helmke rutschte von dem Barhocker und ging hinaus in die Säulenhalle. Im von Scheinwerfern erleuchteten Schwimmbecken schwammen noch einige Paare. Am Rand des Beckens war eine kleine Bar aufgebaut. Vier Geiger spielten dazu schmalzige Melodien.
Dolce vita auf Zypern …
Er hat sie gemalt.
Horst Helmke rauchte mit zitternden Händen eine Zigarette an. Er beschloß, sich dieses Bild anzusehen.
Heute abend noch. Gleich. Am Ende dieser Zigarette …
*
Im Funkhaus geschah es in diesen Tagen, daß der Regisseur Detlev Cranz, ein anerkannt ernster, korrekter Mann, einen Moment sprachlos war, nachdem er eine Tür aufgerissen hatte.
Es handelte sich um ein Zimmer im Cutter-Trakt. Bis auf die Schneidearbeiten für die Abendschau und das aktuelle Interview waren die Zimmer leer, und Cranz kam auch nur in dieses Zimmer, weil er die Cutterin Hilde Mikulatz suchte, die sich nicht einig wurde, ob sie einige Einstellungen bei den Regenaufnahmen zu ›Der goldene Kuß‹ wegschneiden sollte. »Nach zwanzig Uhr habe ich Zeit«, hatte sie zu Cranz gesagt. »Ich bin im Schneideraum.« Aber da war sie nicht, und Cranz kam auf der Suche in dieses Zimmer.
Was er sah, war dazu angetan, das Herz eines Mannes aufzublähen wie einen Luftballon.
Im hell erleuchteten Zimmer stand ein Mädchen in zartester Unterwäsche. Ihr Körper hatte alles, was man prosaisch mit Formen umschreibt, und da die Unterwäsche knapp und durchsichtig war, war das Bild ungetrübt von irgendwelchen Ratereien. Das Mädchen hatte lange, weißblonde, zu einem Pferdeschwanz gebundene Haare. Die Feststellung, daß diese Haare gefärbt waren, fiel in dieser Situation nicht schwer.
»Och!« schrie sie, als Cranz ins Zimmer kam. »Nein, bitte … gehen Sie hinaus!« Sie legte die Hände verdeckend dorthin, wo nichts zu verdecken war, nämlich auf ihre Schultern. Die Vorzüge ihres Körpers wurden dadurch nur noch deutlicher. »Drehen Sie sich um, Herr Cranz!«
Detlev Cranz
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