Der goldene Kuß
Mätzchen klein?«
»Ja.«
»Himmel und gedrehter Zwirn … es liegt nicht bei mir, sondern bei Rathberg!« schrie Heimann. »Die Moral der Künstler … das ist seine Erfindung. Außerdem bist du für die Johanna zu dumm!«
»Aber die Neue, was?« Karin sprang auf, ihre Augen funkelten gefährlich. »Sie kann das, die junge dumme Gans, was? Neunzig Brustumfang ist wohl eine Empfehlung?«
»Die heilige Johanna hatte eine knabenhafte Figur«, sagte Heimann trocken. »Daran liegt es also nicht. Aber die Johanna hatte etwas im Hirn … und daran liegt es. Und Vera hat etwas unter den Haaren. Klar?«
»Ja! Du Schurke!« Karin trat Heimann blitzschnell gegen das Schienbein. Er schrie nicht auf, er verzog nur den Mund und wurde blaß. Schweiß trat auf seine Stirn. »Das andere Bein auch? Bitte!« zischte Karin.
Heimann humpelte weg. An der Tür zum Salon traf er auf Amar, der ihn verwundert anschaute. Im Salon, vor einem Glas Rotwein, saß der alte Withcock und rauchte eine Zigarette. Er winkte dem schmerzverzerrten Heimann zu und wies auf den freien Stuhl neben sich. Heimann humpelte heran und ließ sich in die Polster fallen.
»Sie sind doch Carlos Heimann«, sagte der alte Withcock in einem breiten Deutsch.
»Ja. Seit meiner Geburt.« Heimann rieb sein Schienbein. Es war genau das siebentemal, daß ihn Karin Jarut dagegengetreten hatte.
»Ich habe Ihre Fernsehspiele gesehen. Gute Arbeit, Heimann. Vor allem die Klassiker. Was Sie jetzt drehen, ist Mist.«
»Ich weiß, aber es hat eine der höchsten Infratest-Quoten. Das Publikum sieht sich die Augen wund danach. Bei den Klassikern riefen einige hundert im Funkhaus an und beschwerten sich über den langweiligen Goethe. Dabei war es Schiller. So ist das eben.« Heimann nahm die angebotene Zigarre an und biß die Spitze ab. Er nahm Withcock das Streichholz aus der Hand.
Was will er, dachte er. Warum holt er mich an den Tisch. Der alte Withcock ist ein Fernsehpapst in Amerika. Er will doch etwas von mir …
Withcock sah an die Decke. Die Kringel seines Zigarrenqualms standen schön in der stillen Luft. Er dachte anscheinend scharf nach. Heimann schwieg. Leute, die nachdenken, soll man nicht stören. Millionäre, die nachdenken, soll man wie Heilige behandeln.
»Aha!« sagte Withcock plötzlich. Heimann zuckte unwillkürlich zusammen.
»Ja?«
»Ich hab's!«
»Die Lösung eines Kreuzworträtsels?«
»Nein. Meinen neuen Regisseur für einen phänomenalen Klassiker. Sie machen den Streifen, Heimann!«
»Ich habe einen festen Vertrag mit meinem Sender.«
»Ich leihe Sie aus. Einverstanden? Mit Dr. Rathberg spreche ich selbst. Ich biete ihm als Sonderleistung freies Drehen auf unserem Ateliergelände. Was halten Sie davon?«
»Nicht übel.« Heimann sah auch an die Decke. Er grinste. In Amerika drehen. Einen Klassiker. Er ahnte, daß dieses Angebot ein dickes Ende hatte. »Was soll's sein, Mr. Withcock?«
»Ich dachte an Othello.« Withcock sah Heimann fragend an.
»Sehr gut.« Heimann inspizierte seine Zigarrenspitze. »Othello habe ich mir schon immer gewünscht.«
»Das glaube ich. Aber mein Othello ist nicht Ihr Othello. Wir machen einen modernen Othello. Einen Mord-Mohren mit Pfiff. Wir machen ein Musical. Was sagen Sie nun, Carlos?«
»Bis jetzt noch nichts. Othello als Musical … das wäre, na ja …«
»Ich habe auch schon einen Titel!« Das Gesicht Withcocks leuchtete, es wirkte fast zwanzig Jahre jünger.
»So?« sagte Heimann gedehnt. Er ahnte Böses.
»Ja! ›Spitzenhemd und schwarze Kralle‹! Na, ist das ein Knüller?«
»Das kann man wohl sagen.« Heimann nebelte sich mit seiner Zigarre ein. Mein Othello, dachte er. Mein herrlicher, venezianischer Othello, den ich mit nackten Füßen als einen zwischen Urtrieb und Zivilisation schwankenden Negerfürsten spielen lassen wollte. Und nun: ›Spitzenhemd und schwarze Kralle‹ … Man sollte wie ein Affe auf die Bäume gehen und heulen.
»Auch der Komponist ist schon da«, rief der alte Withcock fröhlich. »Die Melodien schreibt ein bekannter Komponist. Der Auftrittssong von Othello, der bei uns Otty heißt, ist so: ›Ihr seht mich hier als schwarzen Mann, und das ist echt, nicht Wichse …‹ Phantastisch, was?«
»Das kann man wohl sagen.« Heimann legte seine Zigarre weg. »Und ich soll das drehen … vorbehaltlich dessen, daß mich Dr. Rathberg ausleiht?«
»Ja. Nur Sie haben die Hand, so etwas zu tun. Ich habe schon lange nach einem Regisseur gesucht, bis ich Ihre Filme sah und
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