Der goldene Kuß
tat genau das Gegenteil, er kam interessiert näher. Das Mädchen machte noch einmal »Huch!« und eilte um einen Tisch herum. So wurden auch die Bewegungsphasen des Körpers klar, und sie waren recht angenehm.
»Üben Sie Strip?« fragte Cranz.
»O nein … mir ist vorhin Tinte aufs Kleid gefallen, und ich wollte es hier auswaschen. Gerade da kamen Sie …« Das Mädchen sah Cranz aus großen braunen Kinderaugen an. Ein Puppengesicht mit einem Schmollmund. Cranz fand diesen Zufall, der ihn ins Zimmer geführt hatte, vorzüglich. Er lobte das Schicksal.
»Wer sind Sie?« fragte er milde.
»Ich heiße Biggi Feind. Ich bin Skriptgirl bei der Sportrundschau …«
»Sportrundschau! Fußballschweiß und Boxerblut – das ist doch nichts für Sie, Biggi.« Detlev Cranz musterte noch einmal die verschreckte Gestalt. Mit fünfundvierzig Jahren macht das Herz einen Salto, wenn es so etwas Appetitliches sieht. »Können Sie morgen gegen elf Uhr ins Studio V kommen?«
»Ich will versuchen, ob es geht.«
»Es geht bestimmt. Ich glaube, ich könnte aus Ihrem Typ etwas machen.« Cranz lächelte freundlich, väterlich-gütig, ließ seinen Blick noch einmal über alle Schönheiten gleiten und drehte sich dann um. »Ich suche etwas wie Sie für meine ›Mitternachtslaune‹. Das können wir ja morgen besprechen … Guten Abend.«
»Guten Abend, Herr Cranz.«
Biggi Feind wartete, bis sie sicher war, daß Cranz weit weg war. Dann ging sie zum Telefon und rief ihre Freundin an, die im Ballett tanzte und noch im Funkhaus war.
»Hat's geklappt?« fragte die Freundin.
»Und wie!« Biggi stieß einen Jodler aus. »Er hat mich angestarrt wie ein Frosch. Morgen soll ich zu ihm! Das mit der Tinte und dem Kleid hat er geglaubt … Mensch, Monika, wenn ich eine Rolle bekomme …«
An diesem Abend war Regisseur Detlev Cranz etwas verwirrt und unkonzentriert. Selbst Theo Pelz fiel das auf.
»Überarbeitet?« fragte er.
»Etwas.« Cranz nickte und trank einen Kognak.
Sie hat ein Körperchen, dachte Cranz. Wie aus Zuckerguß. Wie doch der Zufall neue Perspektiven schafft …
*
Tommy Brest wusch sich gerade das Gesicht, als er die Tür seines Hotelzimmers klappen hörte. Er trocknete sich ab und rieb sein Gesicht mit Kölnisch Wasser ein.
»Boy, stellen Sie den Whisky auf den Tisch!« rief er aus dem Badezimmer.
Als er keine Antwort bekam, schlang er das Handtuch um seinen Hals und kam ins Zimmer. Er war in Hose und Unterhemd. An den Fingern klebte noch bunt durcheinander Ölfarbe; er hatte noch keine Zeit gehabt, sie mit Terpentin abzureiben.
Im Zimmer stand Horst Helmke und hatte das Gemälde in den Händen. Die Leinwand hatte an der Wand gelehnt.
»Ein schönes Bild!« sagte Tommy Brest. Er erschrak, als der Kopf Helmkes hochfuhr. Die Augen, die ihn anstarrten, waren rot vor Wut. »Laß dir das erklären!« rief Tommy. »Das ist eine eigene Geschichte! Ich habe Vera auf diesem Bild …«
Das Gemälde polterte zu Boden. Es fiel mit dem Gemalten nach oben. Der nackte, weiße Leib Veras schimmerte im Deckenlicht.
»Du Schwein!« sagte Helmke leise. »Du verdammtes Schwein! Halt den Mund!« Er stürzte vor, mit erhobenen Fäusten, das Gesicht verzerrt.
»Hör mich an!« schrie Tommy Brest und wich zurück. »Hör mich doch an …!«
Er stolperte, fiel auf den Teppich, und da war Helmke schon über ihm mit einem Aufschrei wie ein verletztes Tier. Er stürzte über Tommy Brest wie ein vom Berge abgesprengter Felsblock.
*
Zum Abendessen erschien Tommy Brest nicht. Heimann ließ in sein Zimmer hinauftelefonieren, aber dort meldete sich keiner. »Wohl wieder ein Weibsbild am Kragen«, stöhnte er und schälte die Melone aus, die es als Vorspeise gab. »Morgen ist er dann wieder so schlapp, daß er vom Pferd fällt. Es ist zum Kotzen, mit so etwas arbeiten zu müssen.«
Das Fernsehteam gab keine Antwort. Man kannte die Monologe Heimanns zur Genüge. Bekam er Antwort, wuchs sein Wortschwall ins uferlose. Das wollte man vermeiden.
Auch Horst Helmke fehlte an der Tafel. HH, wie er genannt wurde, hatte sich wenigstens entschuldigt; er repariere die Handkamera, hatte er bestellen lassen. Im elektrischen Transport klappt etwas nicht, der Film werde nicht in der Laufdauer durchgezogen, sondern halte plötzlich an.
»War's schön?« fragte Heimann nach dem Essen Vera Hartung. Sie saßen unter der Säulenkolonnade und sahen über das riesige, erleuchtete Schwimmbecken. Eine Streicherkapelle spielte zärtliche Weisen. Aus der Bar klang
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