Der goldene Kuß
»Leute, haltet mich fest! Ich springe ins Wasser! Das überlebe ich nicht! Gerade diese Aufnahme …«
Am nächsten Morgen waren per Flugzeug die Filmrollen wieder in Limassol. In Heimanns Zimmer ließ man den Film durch die Hand laufen. Niemand sprach, denn jeder hatte einen Zentnerdruck auf dem Herzen.
Nichts … nichts … Nebel … Nebel …
Alle Rollen … nichts.
Heimann warf die Filme in die Ecke. Er war am Ende. Jeder erwartete, daß er jetzt hysterisch weinte.
»Ich habe neue Filme gehabt«, sagte Helmke leise. »Ich habe sie in meinem Zimmer, im Wäscheschrank, in einer Kühltasche aufbewahrt. Und so habe ich sie auch mitgenommen.« Er wischte sich über das schweißnasse Gesicht. Seine Hände zitterten. »Jemand muß, als wir in der Grotte filmten, die Filme gegen schon blind belichtete Filme ausgetauscht haben. Das ist die einzige Erklärung. Ich habe schon belichtete Filme, Filme, die man durch die Sonne zog, in die Kamera gelegt … Wenn ich wüßte, wer mir das eingebrockt hat …«
Es war eine Frage, die Carlos Heimann umwarf.
Er wußte plötzlich die Antwort.
Und alle im Zimmer wußten sie auch und sprachen sie nicht aus. Nur Tommy Brest sagte leise:
»Dieses verdammte Aas …«
*
Es half alles nichts, kein Fluchen und kein Verwünschen: Die große Szene Vera Hartungs konnte nicht wiederholt werden. Einmal waren die Kosten dazu zu hoch, und zum andern weigerten sich die Regierungsstellen von Zypern, noch einmal die Burg von Kolossi für solch einen Fernsehzauber zur Verfügung zu stellen. Was Veras größter Triumph werden sollte, würden nun die Fernsehzuschauer nie sehen.
»Ändern wir also das Drehbuch«, sagte Carlos Heimann dumpf. Das war am nächsten Tag. Er hatte diesen Schlag noch nicht verwunden und lief herum wie ein Hund, der in der Wüste einen Baum sucht. Für ein sündhaftes Geld hatte er eine halbe Stunde lang mit Theo Pelz und Intendant Dr. Rathberg telefoniert. Sein Verdacht wurde in Deutschland mit Vorsicht aufgenommen, vor allem, als Heimann drohte, diesen Streich doppelt heimzuzahlen.
»Machen Sie keine Dummheiten, Herr Heimann«, sagte Dr. Rathberg begütigend. »Soll es zu einem Fernsehkrieg kommen? Ist das nötig?«
»Wer hat damit angefangen?« rief Heimann. »Soll ich mich schlagen lassen wie ein Bettvorleger?«
»Sie können gar nichts beweisen.«
»Man wird mir auch nichts beweisen können, Herr Intendant.«
»Ich möchte keine Skandale, das wissen Sie. Ob Bettgeschichten oder solche Konkurrenzkriege – ich hasse Aufsehen. Mein Sender ist ein Kulturträger, aber keine Schlägerkolonne. Nehmen Sie nicht die Rache des kleinen Mannes, Heimann … drehen Sie weiter, aber passen Sie besser auf. Und strafen Sie die Gegenseite mit Verachtung.«
Heimann knallte den Hörer zurück und hieb die Beine auf die Balkonbrüstung. »Was soll das nun?« schrie er. »Diese butterweiche Tour! Mit Verachtung strafen! Als ob man die Jarut mit moralischer Entrüstung aufs Kreuz legen könnte! Aber nein … immer mit der Harfe spielen! Immer Engelstöne! Wenn das so weitergeht, produzieren wir in zwei Jahren nur noch Wolkenstücke und machen Interviews mit Petrus und den geschlechtslosen Engeln … Kinder, ist das ein verrückter Betrieb!«
Um das Drehbuch umzuschreiben, brauchte Heimann zwei Tage. Es ging ja nicht nur um die eine Szene; wurde Vera anders gerettet beziehungsweise wurde ihr anders nach dem Leben getrachtet, so mußte auch die weitere Handlung anders laufen. Man kann nicht mit Brandwunden in ein Krankenhaus kommen, ohne welche zu haben.
»Macht euch zwei vergnügte Tage, Kinder«, sagte Heimann wehmütig. »Laßt mich allein mit Deutschlands Fernsehspiel. Ich bin kein guter Anblick, wenn ich denke.«
Das Fernsehteam nutzte es aus. Die Kameramänner unter Leitung Horst Helmkes fuhren zu den Klöstern Ayios Neophytos und Chrysorroyiatissa, um dort wunderschöne Aufnahmen zu machen. Helmke kontrollierte die neuen Filmrollen. Bis auf eine waren die Verpackungen unversehrt … diese eine Rolle aber war noch einer der ›Sabotagefilme‹. Helmke hob sie auf und gab sie sogar in den Hoteltresor unter Verschluß wie einen Diamantenkoffer. Es war der Beweis, daß man ihm belichtete Filme untergeschoben hatte.
Tommy Brest hatte sich Vera gegenüber völlig geändert. Er war höflich und hilfsbereit, ein guter Kollege, der alle Starmanieren abgelegt hatte. Der tiefere Grund war, daß er in Vera den kommenden, ganz großen Aufstieg witterte. Er erkannte, daß hier kein
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