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Der goldene Kuß

Der goldene Kuß

Titel: Der goldene Kuß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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verschloß. Sie rief, sie hämmerte mit den Fäusten gegen die bröckelnde Wand, bis ein neuer Erdstoß sie umwarf und sie über den Felsenboden rollte wie eine Kugel. Da erst begriff sie, was um sie geschah. Sie blieb liegen, auf dem Rücken, und starrte in die Dunkelheit.
    Bricht die Höhle zusammen, dachte sie, und sie dachte es ganz klar, ohne Angst. Stürzt gleich die Decke ein und begräbt mich? Sie schloß die Augen, preßte die Fäuste vor den Mund und wartete.
    Jetzt … oder jetzt … Wie der Berg grollt. Wie das Rollen von Hunderten Rädern kommt es aus der Tiefe.
    Werden die Wände gleich umsinken? Mein Gott, laß mich gleich erschlagen sein … laß mich nicht langsam sterben, unter wahnsinnigen Schmerzen … mach es kurz, mein Gott …
    Dann schwieg der Berg wieder. Die Höhle war geblieben. Vera lag still auf dem kalten Gestein und atmete kurz und stoßweise. Dann rief sie »Hallo!« … erst ganz leise, dann lauter, immer lauter … ihre Stimme hallte wider in der weiten Höhle. Es war, als sei sie nicht eingestürzt, sondern noch erweitert worden. Dafür kam ein neues Geräusch auf … ein leises Rauschen, das sehr schnell anwuchs, vermischt mit dem Krachen beiseitegeschossener Felstrümmer. Dann brauste es um sie herum, Wasserspritzer übergossen sie, in Sekundenschnelle wurde es kälter, aber auch die Luft wurde klarer und ließ sich herrlich frisch einatmen.
    Vera kroch etwas höher über das zerklüftete Gestein. Unter ihr floß jetzt ein reißender Wasserstrom, irgendwo war er frei geworden, hatte sich ein neues Bett gesucht und verschwand wieder irgendwo in einer Spalte. Aus dem Hintergrund der Höhle wehte frische Luft heran – Vera spürte es ganz deutlich nach der Qual des Sandstaubes. Das Erdbeben hatte der Höhle den einen Eingang genommen, aber einen anderen geschaffen – dort hinten, in der Dunkelheit, aus der der neue unterirdische Strom heranrauschte.
    Vera blieb tief atmend noch eine Weile liegen. Zum verschütteten Eingang ging sie nicht mehr zurück. Sie ahnte, daß von dort keine Hilfe mehr kommen konnte. Was werden sie jetzt draußen machen? dachte sie. Haben sie das Erdbeben überlebt? Oder hat der Berg sie alle mitgerissen?
    Der Gedanke, vielleicht die einzige Überlebende zu sein, lähmte sie zunächst. Sie war dem Weinen nahe, aber sie empfand keine Angst. Die rauschende Dunkelheit vor ihr war voller Gefahren und unbekannter Schrecken, aber sie war nicht mehr unüberwindlich, das spürte sie. Nur Kraft brauchte man, Mut und Entschlossenheit … und man mußte dem Luftzug nachgehen, der durch die Höhle wehte, dem Streifen Wind, der zurück ins Leben führte.
    Sie wußte nicht, wie lange sie auf ihrem Felsplateau gesessen hatte, bis sie sich aufmachte zum Hintergrund ihres Gefängnisses. Daß draußen Horst Helmke und das Fernsehteam immer wieder gegen die Felswände hämmerten und auf Antwort lauschten, hörte sie im Rauschen des Wassers nicht. Es war kalt geworden in der Höhle, sie schlug die Arme gegen den Körper, trampelte und klopfte sich ab. Dann tastete sie sich vorwärts, über Felsbrocken, die von den Wasserspritzern glitschig geworden waren, sie hielt sich mit beiden Händen immer in Griffnähe der Wand, während ihre Füße Schritt um Schritt vorwärts tasteten. Der Boden konnte plötzlich abfallen, ein Spalt konnte sich öffnen, Abgründe konnten in den Tod führen … Meter um Meter schob sie sich vorwärts, in völliger Dunkelheit, umgeben vom Rauschen des neuen unterirdischen Flusses. Er war direkt neben ihr, und sie stellte sich vor, daß sie auf einer Art Felsgalerie entlangschlich und ein Schritt zur Seite sie in den reißenden Strom schleuderte.
    Die Luft wurde klarer. Sie fühlte, wie die Felswand einen Bogen machte, das Donnern des Wasserfalls im Innern des Berges wurde weiter, dumpfer, die Nässe ließ nach … und dann wurde die Nacht plötzlich durchbrochen … zunächst nur ein Hauch von Licht, graue Dunkelheit, dann mehr, immer mehr … sie erkannte die Wand, den Boden, sie sah zur Höhlendecke hinauf, von irgendwoher fiel Licht in den Berg … Licht! Licht!
    Vera lehnte sich an die Wand und weinte. Ich lebe weiter, dachte sie. Ich lebe weiter! Es ist wie eine Auferstehung … Ich komme aus meinem Grab zurück auf die Welt!
    In der Dämmerung lief sie weiter. Nun sah sie, wohin sie trat; es war ein breiter Gang mit bizarren Steingebilden, meterhoch, ein Gewölbe wie ein Dom. Und sie sah auch das Licht hoch oben unter der Decke, ein gezacktes Loch,

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