Der goldene Kuß
ihren flaumigen Nacken. »Ich werde über alle Schatten springen. Ich … ich habe es schon versucht …«
»Ich liebe dich so unendlich«, sagte Karin Jarut und glitt auf den Diwan. »Du bist doch der einzige Freund, den ich habe!«
Der Rest des türkischen Mokkas wurde kalt …
*
Am Sonntagmorgen klingelte bei Dr. Rathberg das Telefon. Er schlief noch, schreckte hoch und nahm den Hörer ab.
»Hier ist Forstaufseher Bingel«, meldete sich eine Stimme. »Ich habe eben einen Kontrollgang gemacht, auch an Ihrem Jagdhaus vorbei, Herr Doktor, und ich glaube, da ist man eingebrochen. Die Tür steht auf, vor dem Haus sind Reifenspuren … Ich habe die Polizei noch nicht benachrichtigt. Ich habe gedacht, wenn zuerst Sie … von wegen dem, was fehlt. Wenn Sie sofort herauskommen. Ich warte hier solange …«
Dr. Rathberg sprang aus dem Bett. Draußen war der erste Schnee gefallen. Die Welt war weiß geworden, verzaubert, zu weißen Filigranen erstarrt. Eingebrochen, dachte er. Werte habe ich nicht in dem Haus, nur Erinnerungen, und die kann niemand stehlen. Und die Geweihe, die Jagdtrophäen – wen interessiert das schon? Vielleicht die Kleidung, die Bettwäsche, das Geschirr …
Nach drei Stunden fuhr er langsam den Weg entlang zu seinem Jagdhaus. Über die Bäume zog eine Rauchfahne. Aha, dachte er, der Jagdaufseher hat Feuer gemacht. Der Bau ist unterkühlt. Wie lange war ich nicht mehr hier draußen!
Er hielt seinen Wagen an. Im Schnee waren frische Reifenspuren, sie führten zum Haus. Heute kommen die Diebe mit dem Auto, dachte Dr. Rathberg bitter. Alles wird rationeller …
Er hielt vor seinem Jagdhaus, stieg aus und wunderte sich, daß der Jagdaufseher nicht herauskam. Er mußte das Auto gehört haben. Die Fensterläden waren geöffnet.
Dr. Rathberg ging zur Tür und untersuchte das Schloß. Nichts aufgebrochen. Keine Gewalt. Also sind auch Sicherheitsschlösser nicht sicher. Er stieß die Tür auf, schüttelte den Schnee von den Schuhen, hängte seinen Pelzmantel an die Garderobe und betrat den großen Wohnraum. »Wo sind Sie, Herr Bingel?« rief er.
Dann blieb er ruckartig stehen und zog das Kinn an.
Vor dem prasselnden Kamin, in dem die Flammen hoch über einen Holzstoß züngelten, saß Karin Jarut, als sei sie die Herrin des Hauses.
»Ein richtiger Einbruch wäre mir lieber gewesen«, sagte Dr. Rathberg und schüttelte den Schnee von seinen Hosenbeinen. Dann warf er die Tür zu und blieb mitten im Raum stehen. »Selbst abgebrannt wäre mir lieber!«
»Sie sind nicht gerade höflich, Herr Intendant. Und übrigens: Es brennt ja!« Karin Jarut zeigte auf den flammenden Kamin. Das Buchenholz prasselte in der Glut. Es wirkte fast romantisch.
»Wer war der Mann, der mich hier herauslockte?«
»Ein hilfsbereiter Freund. Und Freunde verrät man nicht.«
»Das sieht ganz nach der Handschrift von Pelz aus. Man sollte ihn Schocker inszenieren lassen.« Rathberg kam näher und setzte sich Karin gegenüber in den Sessel. Wider Erwarten trug sie kein Kleid, das bis über die Schenkel gerutscht war. Sittsam in eine Skihose und einen weiten Pullover gehüllt, der alle Formen verschluckte, die Haare schlicht zurückgenommen zu einem allerdings sehr jugendlichen Pferdeschwanz, so hockte sie vor Rathberg; eine fremde Karin Jarut. Rathberg schob die Unterlippe vor wie ein spuckendes Lama.
»Ein völlig neues Jarut-Gefühl«, sagte er sarkastisch. »Wollen Sie die ›heilige Johanna der Schlachthöfe‹ spielen?«
»Das wäre wunderbar.«
»Es war nur eine rhetorische Frage.« Dr. Rathberg holte sein goldenes Zigarettenetui aus dem Rock und steckte sich eine Zigarette an. Karin bot er keine an … es war eine bewußte, provozierende Unhöflichkeit, denn er wußte, wie gern die Jarut rauchte. »Zur Sache: Was soll das alles? Haben Sie und Pelz geglaubt, mit solchen Mätzchen könnte man etwas an Tatsachen ändern? Mit Pelz werde ich übrigens noch eine Petersburger Schlittenfahrt machen.«
»Der Vorschlag kam von mir.« Karin log glaubwürdig, aber Rathberg winkte ab.
»Er war der Handlanger! Aber bitte: Was wollten Sie sagen?«
»Es sollte Sie freuen, daß ich hier bin, Herr Intendant.«
»Freuen? Das ist ja wohl zuviel des Guten!« Rathberg sah böse an Karin vorbei gegen die Geweihe an der Wand. Die Überrumpelung ärgerte ihn maßlos. Das war schon kein Streich mehr, das war eine glatte Frechheit. Aus dem Bett heraus mit einem verlogenen Anruf, in Schnee und Kälte die Fahrt in den Wald, die gestörte
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