Der goldene Kuß
den anderen angewiesen. Wir sind eine einzige große Arbeitsgemeinschaft, die nur funktionsfähig ist, wenn jeder der Freund des anderen ist. Fernsehen, das ist eine riesige Maschinerie, in der das kleinste Rädchen wichtig ist … fällt eines aus, kann es Katastrophen geben! Aber wem erzähle ich das? Sie sind doch alle aufgewachsen in diesem besonderen Klima. Oder – vielleicht liegt es daran – haben Sie kein Vertrauen zu meiner Gerechtigkeit?«
Heimann, Cranz und die anderen Herren schwiegen betreten. Das ist auch so eine Frage, dachten sie. Wie kann er darauf eine Antwort erwarten? Da heißt es immer, Kritik ist fruchtbar – aber macht man mal den Mund auf, wird man in die Ecke gestellt wie ein vorlauter Schüler. Am besten also, man schweigt und schluckt so manches hinunter. Zivilcourage … wo gibt es die? In Romanen und in Lehrbüchern über den Umgang mit dem Chef. In der Praxis denkt man nur an sein gutes Gehalt.
Dr. Rathberg lehnte sich zurück. Das Schweigen seiner besten Mitarbeiter traf ihn tief. Bin ich solch ein Scheusal, dachte er. Zugegeben, ich bin unnahbar. Ich gelte als kalt, abweisend. Als Beamter auf einem der Kunst geweihten Stuhl. Als politischer Aufseher. Repräsentant eines Institutes, das wie kaum ein anderes die öffentliche Meinung beeinflußt. Aber man kann doch mit mir sprechen, zum Teufel noch mal! Ich fresse doch keinen!
»Es ist gut, daß wir jetzt unter uns sind, meine Herren«, sagte er. »Vielleicht war es einmal nötig, daß wir uns näher kennenlernen. Ich habe den Eindruck, daß ich Furcht verbreite.«
»Es … es ist nicht leicht …« sagte Heimann tapfer. Er hatte am wenigsten zu verlieren, sein Amerikavertrag war unterschrieben. Wurde das Othello-Musical ein Erfolg, konnte er in den USA bleiben.
»Machen Sie es mir leicht, meine Herren?« Dr. Rathberg schlug die Hände zusammen. »Was ich an Unebenheiten – nennen wir es so diskret – gerade in den letzten Wochen ausbügeln mußte, ist doch wohl mehr, als ein normaler Betrieb vertragen kann! Ich habe die volle Verantwortung für alles, was hier geschieht! Glauben Sie, das ist eine leichte Bürde?«
»Natürlich nicht, Herr Intendant.« Detlev Cranz zog sich auf ein sicheres Gebiet zurück. »Es ging uns nur darum, von Ihnen zu hören, daß Vera Hartung in keiner Weise …«
»Es ist schön, daß Sie sich alle so tapfer für eine Kollegin einsetzen«, sagte Dr. Rathberg. Er lächelte sogar. »Das gefällt mir … aber Sie schießen nach Mücken, meine Herren! Ich habe mit Direktor Pelz schon die Pläne für die kommenden Fernsehspiele durchgesprochen. Fräulein Hartung wird im nächsten Jahr mindestens sechs Hauptrollen übernehmen! Beruhigt Sie das?«
»Ungemein.« Heimann erhob sich schnell. Die anderen Herren folgten ihm. Man soll Leutseligkeit nicht strapazieren … Zusage von sechs Rollen, und jetzt aber weg! »Wir danken Ihnen, Herr Intendant.«
Rathberg begleitete seine Besucher bis zur ledergepolsterten Tür. Er gab jedem die Hand. »Wir sollten öfter zwanglos miteinander sprechen«, sagte er. Dann, als er allein war, trank er einen doppelten Kognak. Er hatte mehr Lampenfieber gehabt als jeder Schauspieler vor dem Öffnen des Vorhangs.
*
Vera Hartung, um die sich alle bemühten, nahm die Neuigkeiten gelassen und ruhig auf. Sie hatte drei Tage drehfrei und ging viel spazieren. Am Abend war sie mit Horst Helmke zusammen. Sie aßen in einem kleinen Weinlokal und bummelten dann wie alle Liebespaare durch die Straßen, blieben vor den Schaufensterauslagen stehen und bauten Luftschlösser, wie sie ihre Wohnung später einrichten würden.
Später dann lag sie auf der Couch vom Helmkes Appartement, hörte Schallplatten, fühlte seine zärtlichen Hände und war glücklich.
»Mir ist das alles egal«, sagte sie einmal, »was da im Funkhaus passiert. Ich habe dich – was will ich mehr? Ruhm? Geld? Starrummel? Warum? Vor ein paar Wochen, da hätte ich noch gekämpft, da hätte ich Karin Jarut weggeboxt, mit allen Mitteln einer Frau …«
»Nein, das hättest du nie, Vera. Du bist ein ganz anderer Typ.« Er küßte sie und streichelte ihr Gesicht. »Weißt du noch, wie wir uns kennenlernten?«
»Du machtest Probeaufnahmen von mir und leuchtetest mein Gesicht aus.«
»Und ich hielt dich für ein Geschöpf von Pelz und wunderte mich, daß ein solch raffiniertes Mädchen so treue Augen haben konnte. Wie können sie so lügen, dachte ich. Aber sie logen nicht … du bist so. Du bist ein einmaliges
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