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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Polizist späht zum Wagen hinüber. Polly ignoriert ihn.
    »Sie gehört mir nicht. Ich meine, sie gehört mir schon, aber ich hatte nie vor, sie zu behalten.« Er zuckt mit den Schultern. »Ich wollte sie weiterverkaufen. Aber sie … sie ist echt. Man könnte ein ganzes Leben damit zubringen, wenn man nachvollziehen wollte, was sie alles miterlebt hat, wie sie zu all ihren kleinen Schrammen gekommen ist. Ich glaube, sie ist in Amerika und in Indien gewesen. Ich habe ein Herkunftszertifikat. Diese Uhr hat den Aufstieg und Fall des Empires gesehen. Sie hat Königin Victoria überlebt. Mein Großvater hätte gesagt, ihre innere Natur ist das Überdauern. Oder die Handwerkskunst.«
    »Ich glaube nicht, dass die das interessiert.«
    »Nein. Wohl nicht.«
    Joe starrt durch das Autofenster auf die aufgebrochene Tür seines Hauses. Er kann zerschlagene, auf dem Boden verstreute Dinge sehen, die ihm gehören. Er gibt einen undefinierbaren Laut von sich und hofft, dass er, wenn er gehört wurde, nach alter Dame geklungen hat. Er fürchtet, man könne glauben, dass sie stirbt, und zu Hilfe eilen. Einer der Gerichtsvollzieher wirft einen Blick in ihre Richtung und schnauft verächtlich. Da heult ein altes Mädchen. Wollte wahrscheinlich gerade Daddys Armbanduhr zurückkaufen.
    Der Wagen gleitet weiter. Aris Geschäft ist gleich um die Ecke.
    »Halt bitte hier an«, sagt Joe.
    »Keine gute Idee.« Polly wirft einen Blick über ihre Schulter. Der Polizist hat sich abgewandt. Sie fragt sich, ob er mit jemandem spricht. Er sieht sehr entspannt aus.
    »Bitte, Polly.«
    Ari steht vor seinem Laden, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Joe kurbelt die Scheibe hinunter und zischt in seine Richtung.
    »Junger Mann?«
    Ari kommt zögerlich zum Wagen, runzelt dann die Stirn. »Wer sind Sie?«
    »Ich bin’s, Ari, Joe.«
    »Joseph? Du solltest nicht hier sein.«
    »Ja. Nein, sollte ich nicht. Ich weiß.«
    »Was hat denn das alles zu bedeuten?«
    »Es ist ein Komplott, Ari. Ich werde zum Sündenbock gemacht. Wenn dich jemand fragt, mach dir keine Gedanken, und verleugne mich ruhig.«
    Ari seufzt: ein langsam versiegender Laut, Ausdruck von Selbstvorwürfen und der Anerkennung von Tragödien. »Hätt ich mir ja auch denken können. Ich hab geglaubt, es wären Einbrecher, und da hab ich dich angerufen. Dann kamen diese anderen und dann die Polizisten, so viele. Bist du ein Terrorist, Joseph?«
    »Nein, ich gebe der Katze die Schuld daran. Wenn du mir bloß erlaubt hättest, sie umzubringen, als ich es wollte …«
    »Das wäre eine Sünde gegenüber der kosmischen Vorsehung gewesen, Joseph, die ich mir nie hätte verzeihen können.«
    »Die kosmische Vorsehung ist für dämonische Katzen, aber gegen Antiquitätenhändler?«
    »Man weiß es nicht. Das Universum ist unergründlich. Unausweichlich. Manchmal unerträglich.«
    Ari lächelt sanftmütig, vergebungsvoll, emphatisch. Dann:
    »Es tut mir so leid, Joseph. Ehrlich. Ich habe etwas für dich. Sie haben einen Sack im Müll zurückgelassen. Meine Tochter hat ihn geholt. Ich habe versucht, sie aufzuhalten, weil ich Angst hatte. Aber nun bin ich froh.« Er verschwindet kurz in seinem Laden und kehrt mit einem hellen Plastiksack zurück, der Überbleibsel aus Holz, einige Zahnräder und die zerbrochenen Reste zweier blauer Keramikschüsseln enthält. »Es ist nicht viel, und ich weiß nicht, was … na ja, da sind Sprungfedern und all so was drin.«
    »Danke, Ari.«
    Ari nickt noch einmal und wendet sich ab. Dann bleibt er stehen und dreht sich zögernd um. Joe sieht Schuldgefühle in seinem Blick und Scham.
    »Joseph, ich fände es gut, wenn du eine Weile nicht mit mir sprechen würdest. Bis all das vorbei ist. Ich will nicht, dass mein Laden abbrennt. Ich bin nicht stolz darauf, dich darum zu bitten, aber du hast es selbst angeboten.«
    Joe nickt unter seinem lächerlichen Hut. »Natürlich, Ari. Ich versteh schon.«
    »Das heißt nicht, dass wir keine Freunde sind.«
    »Ari. Ich verstehe das. Ich würde es genauso machen.«
    »Und ich wollte doch sehen, wie du lebst«, sagt Polly wütend.
    »Tut mir leid.«
    »Gott, ist ja nicht deine Schuld.«
    Das erscheint ihm als eine derartig scharfsinnige und wichtige Feststellung, dass er beinahe losheulen muss. Stattdessen schluckt er die Magensäure, die in seiner Kehle aufsteigt. Er spürt eine grimmige Entschlossenheit, wo er nur Verzweiflung erwartet hätte. Es ist, als würde sie ihn völlig umkrempeln, und als würde ihn das, was ihn

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