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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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dass sie ihn nur in Wellen spüren kann, in kleinen, hellen Fragmenten, die alles unterbrechen. Dazwischen ist die Welt grau und lila, als stünde sie im Dunkeln und als wäre der Schmerz ihr einziges Licht. Alles zerfällt in Einzelteile.
    Sie sieht, wie das Wasser aufsteigt, höher, höher, höher, unter ihnen, viel zu schnell.
    Der Unteroffizier winkt mit den Händen und befiehlt allen, die Kammer zu verlassen.
    Frankie Fossoyeur ignoriert ihn.
    Die Fluttür schwingt zu, schließt sie ein.
    Das Wasser steigt und ist so kalt, dass Edie es trotz der Schmerzen fühlen kann. Aber sie kann sich nicht bewegen. Sie hat keine Kraft mehr.
    Sie spürt, wie um sie herum schreckliche Dinge passieren. Die Cuparah torkelt hin und her wie ein Trunkenbold in einer Kneipenschlägerei. Ein weiterer Einschlag stößt sie zur Seite, und sie kann sich nicht halten. Das Boot beginnt zu sinken. Edies Nackenhaare stellen sich auf. Die Cuparah geht unter, in einer Spirale gegen den Uhrzeigersinn, sie sinkt nicht, sondern sackt einfach in die Tiefe.
    Bald wird das Wasser die Generatoren bedecken, und dann wird das Spiel zu Ende sein.
    Frankie Fossoyeur legt den Schalter um, greift dann nach Edies Arm und zieht sie auf eine der Werkbänke hinauf.
    »Sie dürfen nicht im Wasser sein«, sagt Frankie. Es kommt Edie albern vor, sich darüber Sorgen zu machen.
    Ungefähr in neunhundert Fuß Tiefe wird der Wasserdruck zu hoch. Niemand weiß es mit Sicherheit. Sie fallen schnell. Sie werden den Punkt jetzt sehr bald erreichen, wenn es nicht schon passiert ist.
    Edies gesundes Ohr registriert ein Knarren.
    Und dann verändert sich etwas. Etwas Merkwürdiges, aber – Edie kann das am erfreuten Gesichtsausdruck der Französin erkennen – etwas Erwartetes und Gutes. Das Wasser steigt nicht weiter. Und dann wird es weiß. Beginnt zu frieren.
    Die Cuparah erzittert, als stoße sie ein großes Gewicht ab, schlingert und hebt sich dann.
    Tief unten – zu tief unten – implodiert die Cuparah nicht. Sie hängt im Dunkeln. Nach einem Moment hören die Explosionen auf. Edie starrt den gefrorenen Block unter ihr an.
    »Sie glauben, wir seien tot«, sagt Frankie.
    »Warum?«
    »Weil wir große Teile unseres Rumpfes verloren haben, natürlich.«
    »Warum sind wir denn dann nicht tot?«
    »Weil wir ein neues haben.«
    »Ein neues?«
    »Ja.«
    »Wie? Wo ist das denn hergekommen?«
    Frankie lächelt breit.
    »Eis«, sagt sie, als könnte nichts natürlicher sein. »Und Seetangfasern zur Flexibilität, etwa zu vierzehn Prozent. In einer irregulären Perlenformation. Etwa zehn Fuß davon, denke ich … ja. Es ist nur unerheblich schwächer als Stahl.« Sie lächelt. »Und natürlich haben wir ziemlich viel davon. Dieses Boot ist hervorragend. Ich hatte die Idee gar nicht in Betracht gezogen; statt Qualitätsabweichungen auszuschließen, die Realität der Unvollkommenheit akzeptieren und sich zu eigen machen. Ein wirklich sehr wirkungsmächtiges Modell.«
    Die Cuparah in eintausend Fuß Tiefe in ewiger Nacht: der Geist einer Fliege – statt in Bernstein in Eis gefangen.

X
    Ein Arschtritt für den Feind;
Bruder Sheamus;
Ahhh-knuu-haha
    I ch muss komplett verrückt sein«, murmelt Polly Cradle, als der Wagen in die Guildholt Street einbiegt. Für einen Augenblick klingt sie so sehr wie ihr Bruder, dass Joe lachen muss. Dann reißt er sich rasch wieder zusammen und späht vorsichtig zu ihr hinüber, ob sie es ihm übel genommen hat.
    »Nein«, sagt sie grinsend, »hör nicht auf. Du hast ein nettes Lachen. Auch wenn es ein bisschen eingerostet klingt.«
    Er grinst zurück. »Das ist es wahrscheinlich auch.« Er versucht es noch einmal mit einer Mischung aus Glucksen und Gekichere und fragt sich, als er sich selber zuhört, ob er jetzt nicht völlig irre klingt. Aber Polly lächelt noch immer.
    Er streckt den Finger aus. »Da drüben. Den Rest des Weges müssen wir zu Fuß gehen.«
    »Jawohl, Sir!« Sie hebt die Hand zum Pfadfinderinnen-Salut, und auch das bringt ihn zum Lachen.
    Joe steuert auf ein merkwürdiges, altenglisches Gebäude zu, auf dessen solide Mauern einige Schauerlichkeiten im Stil der viktorianischen Gotik gesetzt wurden. Die Türen sind riesig: schwarzes Eichenholz, wettergegerbt und befleckt von Kohlenfeuer und später von Petroleumrauch. Heller sind nur der große bronzene Türklopfer und die Klinken, die der ständige Gebrauch glänzend und blass hat werden lassen.
    Joe Spork ist seit Monaten nicht mehr hier gewesen. Manchmal hat er Albträume,

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