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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ihre Augen riesig erscheinen.
    »Der kleine Spork? Joe Spork? Warum hast du das nicht früher gesagt, du dämlicher Idiot! Joe? Joe! Joseph! Komm rein und gib mir einen Kuss!«
    Die Menschenfresserin breitet weit die Arme aus und drückt ihn sich an die Brust. Mr Foalbury seufzt.
    »Schrei, wenn sie hungrig wird, Joe, oder dich auch nur komisch anschaut. Wir halten für Notfälle immer etwas rohes Fleisch in einer Keksdose parat.«
    »Verleumdung!«, ruft die Menschenfresserin. »Lügen, Lügen, Lügen! Wer ist das? Was? Was? Sie können doch unmöglich Wally heißen! Oh, Polly , ja, natürlich. Wie wunderbar. Hat auch ein bisschen Fleisch auf den Rippen, Gott sei Dank, nicht wie diese modernen Pfeifenreiniger … Foalbury, jetzt halt deinen Mund im Zaum. Ich hatte nicht vor, die junge Dame in den Kochtopf zu werfen. Nein. Nein! Dieser Unfug mit dem Kannibalismus muss mal aufhören! Koch Tee. Schön kräftig und orange. Ich spüre, dass unser kleiner Spork in der Scheiße steckt und mit einer Mission hierhergekommen ist. Und woran kann ich das erkennen? Daran, dass der undankbare kleine Mistkerl überhaupt hier ist.« Sie schaut ihn vorwurfsvoll an, mit Goldfischaugen und Mona-Lisa-Brauen hinter den Brillengläsern. Bob Foalbury macht sich lächelnd auf den Weg.
    Und nun betrachtet sie Joe noch einmal in Ruhe und mit größerer Sorgfalt. Sie mustert seine eingefallenen, von Bartstoppeln übersäten Wangen und seine tief liegenden Augen. Dann wirft sie einen Blick auf Polly Cradle und sieht etwas zwischen den beiden, das ihre Zustimmung findet. Röntgenblick mit Untertiteln. Die alte Lady Fu Man Chu. Sie umarmt ihn zärtlich.
    »Mein lieber Junge«, murmelt sie. »Mein lieber, lieber Junge. Du musst Foalbury tüchtig drücken, wenn sich die Gelegenheit bietet, bitte, und sag ihm, dass ich dich dazu gezwungen habe, demnächst mal zum Abendessen zu kommen. Er vermisst dich immer so, wenn du eine Weile nicht hier warst.«
    »Das mach ich«, sagt Joe.
    »Er hat mir neulich einen Schrecken eingejagt«, sagt sie. »Und was für einen! Ist aufgewacht und hat keine Luft mehr gekriegt, und ich hab natürlich gedacht, es wäre sein Herz. Wie sich herausgestellt hat, ist er nur gegen unsere neuen Kissen allergisch. Aber komm doch bitte zum Essen, Joe, ja?«
    »Mach ich.«
    »Denn, weißt du, eines Tages wird es sein Herz sein.«
    »Mach ich«, sagt Joe.
    Sie blickt ihn an, wägt sein Versprechen ab. »Also schön. Was kann ich denn jetzt für dich tun?«
    »Ted Sholt. Die Ruskiniten. Bruder Sheamus.«
    »Oh, Joe. Diese schlimmen alten Geschichten. Und die Hälfte davon ist sowieso gelogen, da bin ich mir sicher. Du hast nicht auf mich gehört, nicht wahr? Du hast diese unsägliche Hakote-Sache weiterverfolgt!«
    »Ja.« Er kann sie nicht anlügen.
    »Ich hab’s dir wieder und wieder gesagt!«
    »Ja. Aber da war es schon zu spät.«
    »Ja, ich nehm’s an. Am besten du erzählst mir alles, und dann sehen wir weiter. Ich werde auch nicht dazwischenreden.«
    Das tut sie nie. Cecily Foalburys einzigartiges fotografisches Gedächtnis ist ziemlich besserwisserisch, es stellt eigenartige Verbindungen her und entdeckt die unwahrscheinlichsten Übereinstimmungen, aber es ist absolut und benötigt keine Nachfragen. Sie sitzt schweigend da, während Joe ihr nun endlich von Whistithiel und der Maschine erzählt, von Ted Sholt, dem dünnen Mann und dem rennenden Dicken, den vermummten Fremden und ihrer beunruhigenden Reihergangart, und schließlich von Billy Friend und Mercers Rettung. Mehr als einmal verengt sich währenddessen ihr Blick, und Joe merkt, dass sie ihre Verbindungen zieht, dass sie die langen Wege ihres Erinnerungslabyrinthes abschreitet und alte Geschichten hervorzieht, um sie in neuem Licht zu begutachten.
    Als Joe fertig ist, sitzt Cecily Foalbury lange in völliger Stille da. Ihre Augen sind auf die Tischplatte gesenkt, und ihre Lippen bewegen sich, während sie sich mit der Zunge über ihre falschen Zähne fährt. Das leise Saugen ist das einzige Geräusch im Raum und das einzige Zeichen dafür, dass sie nicht eingeschlafen ist. Dann öffnet sie endlich die Augen.
    »Bienen«, sagt sie. »Der goldene Schwarm.«
    »Ich glaube, ja.«
    »Es heißt jetzt, dass es mehrere gibt. Andere Bienenkörbe in anderen Städten. Sie müssen da einfach herumgestanden und gewartet haben, worauf auch immer – vergessen in irgendwelchen Winkeln. Die Leute werden es mit der Angst zu tun bekommen. So wie ich. Ich fürchte mich tatsächlich.

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