Der goldene Schwarm - Roman
wie er in einem der endlosen Korridore um die Ecke biegt und ein leeres Gefäß mit einer weißen Karte davor findet, das darauf wartet, mit seinem Gehirn gefüllt zu werden.
»Name?«, sagt Bob Foalbury, Harticles Faktotum und Ehemann von Cecily, der Archivarin, durch das dicke Holz.
»Spork«, antwortet Joe, auch wenn Mr Foalbury ihn seit über zwanzig Jahren kennt.
»Treten Sie ein, und seien Sie willkommen im Hause der Kunst. Halten Sie sich an die Harticle-Regeln, und begleichen Sie Ihre Schulden im Guten, bevor Sie das Gebäude verlassen.
Hausieren, spucken, Kundenwerbung, Spekulation, Klatsch, Wucher, Duelle und Glücksspiel«, sagt Mr Foalbury gravitätisch, während er die Tür öffnet, »werden hinter diesen Mauern nicht geduldet. Guten Tag, Joe.«
»Ich brauche Hilfe bei einem Problem«, sagt Joe, und er klingt gerade angespannt genug, um Bob Foalbury ernst werden zu lassen.
»Nicht das Gesetz, oder?«
»Justizbeamte, Bob, und alle möglichen Regierungsstellen.«
»Korrupte Beamte?«
»Im Überfluss, würde ich sagen.«
»Himmelarsch! Denn die Motten werden sie fressen wie ein Kleid, und Würmer werden sie fressen wie wollenes Tuch, aber meine Gerechtigkeit bleibt ewiglich und mein Heil für und für. Die Bibel, weißt du? Ich habe ja sowieso immer geglaubt, der Herr habe damit vor allem die Leute vom Finanzamt und die Schuldeneintreiber gemeint.«
»Danke, Bob. Und das ist Polly«, sagt Joe linkisch, und Mr Foalbury streckt die Brust raus wie ein Sergeant Major und schüttelt ihr die Hand.
»Sehr angenehm, Miss Polly. Bob Foalbury. Dienstmann im Hause der Kunst. Und Sie … sind Sie Künstlerin, Kritikerin oder Muse?«
»Von allem etwas.«
Mr Foalbury lächelt. »Dann sagen wir Muse. Hatte ich immer am liebsten.« Er führt sie den Hauptkorridor hinunter und präsentiert dabei stolz sein Hoheitsgebiet. An holzvertäfelten Wänden hängen Brunel und Babbage dicht an dicht mit Arbeiten weniger bekannter (aber hervorragender) Aquarellisten, frühe Blaupausen und Seiten uralter mathematischer Texte. Alles bei Harticles, erklärt Mr Foalbury Polly, ist etwas Besonderes, Handgearbeitetes und oftmals Verworfenes. Sogar das Gebäude ist durchzogen von technischen Experimenten: viktorianische Rohrpoströhren, ein Sanitärsystem von Thomas Twyford und ein gläsernes Dach im Anbau des dritten Stocks, damit man den Mond beobachten kann. Es gibt auch eine antike Diebstahlsicherung, einschließlich der Panikknöpfe in allen Haupträumen, aber selbst Bob Foalbury schreckt davor zurück, diese zu benutzen.
»Dann wollt ihr zur alten Menschenfresserin, was?«, sagt Bob. »Sie schreibt gerade eine Monographie über ihre Zähne.« Cecily Foalbury hat im Laufe der Jahre eine große Sammlung verschiedenster falscher Zähne zusammengestellt. Das bemerkenswerteste Exemplar bildet wohl das Uhrwerkgebiss, das für einen Seemann angefertigt wurde, der bei einem Kanonenangriff Teile seines Plexus brachialis eingebüßt hatte und nicht mehr selbstständig kauen konnte. Dieses recht grausige Zahnarchiv wird bei Harticles in einem eigenen Raum aufbewahrt und hat zu Cecilys beunruhigendem Spitznamen geführt, den sie durchaus befördert, indem sie verschiedene Stücke ihrer Sammlung je nach Stimmung selber trägt.
Bob Foalbury findet es offenbar skurril und charmant.
»Ich brauche euch beide. Und ich muss mir einen Schallplattenspieler leihen.«
»Nun, wir sind hier! Ich suche euch einen tragbaren aus, ja? Diese Schweine von der Steuer! Einen Arschtritt kriegen die!« Dann ruft er über die Schulter in den hölzernen Flur und die dunklen, getäfelten Räume dahinter: »Darling? Es ist der kleine Spork!«
Aus dem Inneren ertönt ein Geräusch, als habe man einen Posaunenspieler während der Ouvertüre in den Hintern gekniffen, worauf ein mächtiges Dröhnen aus alten, weiblichen Lungen folgt.
»Na los, steht nicht auf dem verdammten Flur rum, kommt rein. Ihr lasst die Wärme raus, und das ist ein schwerer Verstoß gegen unsere Umweltpolitik. Außerdem wird’s arschkalt!« Cecily ist immer noch unsichtbar hinter ihrer halb geschlossenen Tür, aber ihre Stimme schallt machtvoll durch das Haus der Kunst.
Als sie den Raum betreten, wird ein Stuhl vor einem Nierentisch beiseitegeschoben, und festes Schuhwerk klappert auf polierten Dielen. Eine kleine, muskulöse Frau mit Haaren, die einer Badekappe aus Stahl gleichen, springt ihnen aus der Düsternis entgegen. Eine große Brille mit durchsichtigem Kassengestell lässt
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