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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Erwiderung ein, also setzte sie James Banisters enervierendstes Patrizierlächeln auf und sah, wie sich Shem Shem Tsien vor Wut verkrampfte. Später versuchten sie einander auf einer eiskalten Werft zwischen riesigen Frachtkisten umzubringen. Die Evangelisten hielten sich heraus. Sie schauten bloß zu und zeichneten alles auf.
    James Banister und der Opium-Khan standen bald schon ohne Waffen da, nachdem sie ihre Magazine leer geschossen hatten, und so blieb ihnen nur noch der Nahkampf. Shem Shem Tsien bewegte sich eigenartig schreitend, mit leicht gebeugtem Rückgrat, und Edie begriff, dass er Narben auf dem Rücken trug und sich nicht vollständig aufrichten konnte. Das Feuer, dachte sie, oder die Elefanten. Doch dies änderte nichts an seiner Schnelligkeit oder seiner tödlichen Entschlossenheit. Da sie sich noch gut an Addeh Sikkim erinnern konnte, ging sie davon aus, dass sie wahrscheinlich unterliegen und daher sterben würde.
    Andererseits … Edie grinste angespannt, als ihr Mrs Sekuni in den Sinn kam: Betrügen Sie, Edie. Das Betrügen ist weit besser als das Kampfgeschick. Formvollendetes Betrügen garantiert den Sieg, und manch ein Gegner wird so entsetzt darüber sein, dass dies allein schon einen Vorteil darstellt.
    »Sie haben sich eine komische Haltung angewöhnt«, sagte James Banister herzlich, als sie sich einander näherten. »So eine Art Buckeln. Sie sehen ein bisschen … tja, tut mir leid, aber Sie sehen so ein bisschen nach Victor Hugo aus, wenn Sie verstehen, was ich meine. Würden Sie unser Stelldichein vielleicht gern nach Notre-Dame verlegen?«
    »Oh bitte, Commander Banister, amüsieren Sie sich, so lange Sie können. Diese Narben habe ich schließlich Ihnen zu verdanken. Sie sollten einige Befriedigung daraus ziehen. Auch wenn es mich betrübt, dass ein derart geschätzter Feind über die Wunden eines Soldaten kichert wie ein Mädchen.«
    Das ist die Idee , dachte Edie. Natürlich.
    »Shem Shem Tsien«, sagte sie mit ihrer eigenen Stimme zum Opium-Khan, »ich lache, weil ich Sie satthabe. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Sie sich nicht selber langweilen. Nichts von alledem ist besonders clever oder amüsant. Bei allem, was in der Welt vor sich geht, bei allem, was möglich und wundervoll wäre, beschäftigen Sie sich ausgerechnet mit so etwas. Sie machen Tingeltangel. Ein alter Hut. Zeitverschwendung.« Seine Augen traten in vollkommener, verwunderter Rage hervor. Edie knöpfte ihr Hemd auf und offenbarte seinem Blick einen stolzen, wenn auch schmalen Busen.
    Shem Shem Tsien schwieg, und Edie hielt seine Reaktion für ehrliche Verblüffung. Als er sprach, lag eine gänzlich unaffektierte Wahrhaftigkeit in seiner Stimme. Der erste Moment echter Kommunikation zwischen uns , dachte Edie.
    »Oh«, sagte der Opium-Khan. »Davon hatte ich wirklich keine Ahnung.« Dann holte er aus – nicht bloß, um zu töten, sondern um sie ein für alle Mal auszulöschen, und schon befanden sie sich wieder auf vertrautem Terrain.
    Sie verhöhnte ihn, führte ihn ins Freie. Den Wind hielt sie sich im Rücken, sodass er durch ihre Jacke schnitt und sie zittern ließ. Shem Shem Tsien jedoch fuhr er direkt in die Augen, und dank des spiegelglatten Untergrunds kam es bei diesem Kampf ebenso auf das richtige Schuhwerk an wie auf Geschick. Edie trug Stiefel mit Stahlkappen und dezenten Metallbeschlägen, um ihre Männlichkeit zu betonen und um über ihre kleinen Füße hinwegzutäuschen. Der Opium-Khan, frisch vom Spieltisch, trug Slipper. Edie griff an, und er rutschte mit der vertrauten schaurigen Geschmeidigkeit auf sie zu, verlor dann aber den Halt und schlitterte auf den eisbedeckten Steinen, während er seinen Oberkörper herumriss, um sich gegen sie zu verteidigen. Sie schleuderte ihm eine rostige Eisenkette entgegen, stürmte hinterher, um ihre Stirn in sein Gesicht zu rammen, und prügelte anschließend so ungehemmt und brutal wie nur möglich auf ihn ein. Shem Shem Tsien, dessen zarter Schnurrbart mit Blut verschmiert war, sah recht überrascht aus. Edie nutzte sein Zögern aus, wandte Mrs Sekunis sechste Handgelenksumklammerung an – ein rustikales Vorgehen, dem es an Eleganz fehlte, das aber zum Ziel führte – und schnitt ihm mit seinem eigenen Messer einen seiner Finger ab.
    Er verlor den Kampf, aber ausschalten konnte sie ihn nicht, und ihm gelang die Flucht. Trotz allem hatte Edie das Gefühl, dass es Shem Shem Tsien Vergnügen bereitete. Für sie war es Arbeit, und zwar sehr schwere. Er

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