Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
wiederum befand sich auf dem Weg zur eigenen Göttlichkeit, und es machte ihm Spaß, Menschen zu verletzen.
    Im April wurde das Nordatlantische Bündnis unterzeichnet, und Moskau schäumte vor Wut. Abel Jasmine verlegte Frankies Laboratorium in den Lovelace , hielt es in Bewegung und ließ sie damit faktisch vom Erdboden verschwinden. Shem Shem Tsien wiederum löste sich in den Schatten Europas auf, ein weiterer hasserfüllter Bastard, der sich im Dunkeln verbarg. Edie konnte förmlich hören, wie er über die Finsternis der winterlichen See hinweg brüllte: »Wir sind uns nicht zum letzten Mal begegnet!«
    Zumindest damit sollte er recht behalten. Neun Jahre später stand Edie am Rande eines Abgrunds und starrte in die Tiefe. Sie hatte rund um die Welt gegen Shem Shem Tsien gekämpft, und nie hatte sich etwas verändert oder war besser geworden. Er verübte irgendeine Schandtat, sie räumte hinter ihm auf; in Rom, in Kiew, in Havanna. Sie kämpften auf Schiffen und in Höhlen, auf Häuserdächern und in dunklen Gassen. Manchmal hatte der eine oder der andere eine Armee im Rücken, manchmal waren sie allein. Es hörte und hörte nicht auf. Shem Shem Tsien veränderte sich nicht, lernte nichts und akzeptierte es auch nicht, dass es in dem neu angebrochenen Zeitalter keinen Platz mehr für ihn gab. Dank seiner unfassbaren Schnelligkeit war Edies Körper übersät mit Wunden, aber sie hatte gelernt, ihn abzulenken, ihm zuzusetzen, ihn mit Tricks um das Vergnügen ihres Todes zu bringen. Ein-, zweimal hatte sie – an guten Tagen – sogar durch echtes Kampfgeschick überlebt. Sie versuchte nicht darüber nachzudenken, wie sehr ihrer beider Abhängigkeit von diesem privaten, vorhersehbaren Konflikt den lächerlichen Stellvertreterkriegen glich, die sich der Osten und der Westen lieferten.
    Der Wind trug den Geruch von Schwefel und Verwesung in ihre Nase, und sie würgte.
    Sie befand sich im Palast des Opium-Khans in Addeh Sikkim oder dem, was von ihm übrig war: eine gigantische Grube, ummauert und mit schwarzem Eisen eingerüstet. Das Wasser, das Frankies Maschinen angetrieben hatte, strudelte in einem köchelnden See, der von der Erdwärme erhitzt wurde. Eine industrielle Höllengrube. Ein Brutplatz für Ungeheuer. Edie wickelte sich enger in Mantel und Kopftuch – die Kluft der Einheimischen – und humpelte neben einer Frau her, die zur Arbeit in die Grube hinunterstieg. Die lange Straße, die um sie herumführte, war gesäumt von Köpfen, die man auf Pfähle gespießt hatte. Einige waren menschlich. Andere gehörten Elefanten, deren Fleisch lange verwest war, und die Spitzen bogen sich unter dem Gewicht der blanken Knochen.
    Auf dem Grubengrund hatte Shem Shem Tsien eine Kombination aus Fabrik und Bergbaumine errichtet. Riesige Pressen brachten Metallplatten zum Vorschein, aus denen Sklaven die Bestandteile der mechanischen Soldaten herstellten, die denen von Frankie ähnelten. Sie waren ungeschickt und hilflos, dieselben plumpen Schachfiguren, die Edie schon kannte. In der Mitte der Grube war eine Art Arena aufgebaut, in der sie aneinandergekettet waren. Wenn der Opium-Khan Blut sehen wollte, machte er einen seiner Arbeiter bewegungsunfähig oder blendete ihn, damit die Maschinen nah genug an ihn herankommen und zuschlagen konnten. So verbesserten sie sich. Stück für Stück und unter Schmerzen wurde der Mechanismus, den Frankie erschaffen hatte, um sie zu kontrollieren, ausgereift, und wenn einer der Automaten stürzte, wurde sein Animationsmechanismus wieder in Betrieb genommen, sodass er von seiner Niederlage lernen konnte. Eines Tages würden sie funktionieren, dachte Edie, und hoffte, dass sie es nie würde mit ansehen müssen.
    Sie schoss Fotos und erstattete in der Botschaft in Dhaka Bericht. Sie ging gerade zu ihrem Hotel zurück, als Shem Shem Tsiens Wagen neben ihr zum Stehen kam und der Opium-Khan ihr zweimal in den Bauch schoss.
    »Wie schön, Sie zu sehen, Commander Banister«, sagte er affektiert, während sie in den Rinnstein blutete. »Ich hoffe doch, Ihr Besuch ist zufriedenstellend verlaufen? Was meinen Sie – sterben Sie diesmal, oder sehen wir uns wieder? Ich werde unsere kleinen Plaudereien vermissen.«
    Sie wusste es nicht, und als vor ihren Augen langsam alles grau wurde und sie fror, fühlte sie sich schrecklich, schrecklich ängstlich und allein. Shem Shem Tsien stieg wieder in seinen Wagen und fuhr davon, offenbar ganz zufrieden damit, Edie die Entscheidung zu überlassen. Sie hatte

Weitere Kostenlose Bücher